Aussen vor und doch nahe dran: Die „Gottesfürchtigen“

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Die Gottesfürchtigen in der Bibel und im frühen Judentum

In meiner Jugend kursierte unter überzeugten Christen das Sprichwort: „Sei ganz sein oder lass es ganz sein!“. Mit anderen Worten: Ein bisschen Glauben gibt es nicht. Im freikirchlich geprägten Umfeld schaute man gern etwas herablassend auf die „Namenschristen“ und „Gottgläubigen“, die sich zwar zur Kirche hielten, aber doch nie den entscheidenden Schritt der Bekehrung getan hatten. Und irgendwie herrschte die Überzeugung: Solcher Beinahe-Glaube ist eigentlich noch schlimmer als echter, knackiger Unglaube. Denn er ist erstens inkonsequent und zweitens wirkt er wie ein Impfstoff: Die kleine Dosis Glaube immunisiert auf Dauer gegen das Evangelium. Und was ist eigentlich mit dem Gottesglauben derer, die gar nicht christlich glauben?

Im Neuen Testament begegnen uns Menschen am Rande der ersten christlichen Gemeinden. Sie werden als „Gottesfürchtige“ (Apg. 10,2; 10,22; 13,16; 13,26) oder als „Gottesverehrer“ (Apg. 16,14; 18,7) bezeichnet. Nach den Beschreibungen der Apostel­geschichte handelt es sich um Personen, die sich zur jüdischen Gemeinde halten und offenbar auch den Gott Israels verehren, ohne aber selbst Juden zu sein oder zum Judentum übergetreten zu sein. Ihre Nähe oder Distanz zur jüdischen Synagoge konnte dabei unterschiedlich intensiv sein: Die Purpurhändlerin Lydia etwa schien an den regelmäßigen Versammlungen der jüdischen Gemeinde in Philippi teilzunehmen (Apg. 16,14). Oder war sie nur an diesem Tag zufällig in der Nähe gesellte sich dazu, als sie Paulus predigen hörte? Der römische Hauptmann Kornelius betete offenbar ebenfalls zu den jüdischen Gebetszeiten, aber er ging dazu nicht in die Synagoge, sondern betete in seinem eigenen Haus. Vielleicht hatte er aufgrund seines öffentlichen Amtes Sorge davor, dass sein Glaube publik werden könnte. Aber er spendete regelmäßig Geld „für das Volk“ (Apg 10,2), wobei unklar ist, ob damit allgemein die ärmere Bevölkerung oder speziell die jüdische Gemeinde gemeint ist. Über den „Gottesfürchtigen“ Titius Justus (Apg 18,7) wissen wir nicht viel mehr, als dass er direkt neben der Synagoge wohnte. In der Reihe dieser Personen könnte man noch den Hauptmann von Kapernaum nennen, der die jüdische Gemeinde finanziell unterstütze und ein freundschaftliches Verhältnis zu ihr pflegte (Luk 7,5). Aber er wird nicht ausdrücklich als „Gottesfürchtiger“ bezeichnet. So gab es also zur Zeit Jesu im Dunstkreis der jüdischen Gemeinden offenbar viele solche „Sympatisanten“, die eine je sehr eigene Mischung aus Nähe und Distanz zur Gemeinde pflegten. Ihre „Gottesfurcht“ aber wird in den Berichten des Neuen Testamentes durchweg positiv gewürdigt. Sie werden nicht getadelt für das, woran es ihnen noch mangelt, sondern gelobt für das, was sie schon haben.

Solche „Gottesfürchtige“ sind uns aber nicht nur aus dem Neuen Testament bekannt. Auch antike Schriftsteller wie Josephus und Juvenal verwenden ähnliche Bezeichnungen, und auch auf einer Reihe von Inschriften, die bei archäologischen Ausgrabungen entdeckt wurden, wird der Begriff verwendet. Eine Inschrift aus Akmonia in Phrygien (heute Türkei), die etwa aus der Zeit des Neuen Testaments stammt, dokumentiert die Spende einer prominenten heidnischen Priesterin namens Julia Severa für den Bau einer Synagoge. Ihr Fall erinnert an den Hauptmann von Kapernaum. Auf zwei Inschriften aus Aphrodisias (nahe Kolossä), die allerdings aus späterer Zeit stammen, werden die Namen von Spendern für eine Synagoge deutlich in drei Gruppen eingeteilt: Juden, Proselyten und „Gottes­verehrer“. Forscher gingen daher lange Zeit davon aus, dass es sich bei den „Gottes­fürchtigen“ um eine fest definierte religiöse Gruppe, eine Art rechtlichen „Gaststatus“ im Umfeld der jüdischen Synagogen handelte. Aber das ist so nicht nachweisbar.  Im Gegenteil: Auch fromme Juden konnten durchaus als „Gottesfürchtige“ bezeichnet werden. Daher geht man heute davon aus, dass es sich bei den Bezeichnungen „Gottesfürchtig“ oder „Gottesverehrer“ eher um Ehrenbezeichnungen handelte, die sowohl eine aktive Teilnahme in der Gemeinde (z.B. an Gebet oder Torastudium) bezeichnen konnte, als auch karitatives Engagement für Belange der Gemeinde: Man wollte die religiöse Haltung dieser Menschen anerkennen und würdigen, obwohl sie nicht zur eigenen Glaubensgemeinschaft gehörten. In der Apostelgeschichte sind es gerade diese „Gottesfürchtigen“, die die entscheidenden Brücken für das Evangelium bauen: Zunächst in die nichtjüdische Bevölkerung Israels (Apg 10,2), dann zu den ersten Missionsgemeinden Kleinasiens (Apg 13,43) auch schließlich nach Europa (Apg 16,14).

Die Wertschätzung gegenüber „gottesfürchtigen“ Außenstehenden im frühen Judentum und im Neuen Testament sollte uns hellhörig und zugleich nachdenklich machen: Als Christen sind wir oft darauf bedacht, klare Grenzen zu ziehen zwischen Gläubigen und Ungläubigen, weil wir eine Vermischung der Religionen fürchten. Dabei passiert es uns oft, dass wir auch das abklassifizieren, was doch eigentlich schon ein Schritt in die richtige Richtung ist: Wenn etwa der muslimische Nachbar regelmäßig früh aufsteht, um zum Morgengebet zu gehen – soll ich ihn dann zuallererst tadeln dafür, dass er dort nicht zu Jesus betet? Oder soll ich mich freuen, weil er, anders als so viele „christliche“ Zeitgenossen, überhaupt betet? Weil er Gott fürchtet und seine Nähe sucht? Und weil er dabei, nach seinem eigenen Selbstverständnis, sogar zum Gott der Bibel betet, zum Gott Abrahams und dem Gott des Propheten Jesus? Für viele Christen ist gerade der Islam der größte Feind des Christentums, eben weil er dem biblischen Glauben so nahe steht, und doch im Kern so anders ist. Das Beispiel der neutestamentlichen Gottesfürchtigen aber könnte uns lehren, dass hier auch eine große Chance für das Evangelium besteht: Denn wer bereits weiß, dass es einen Gott gibt, den man fürchten und ehren soll, wer weiß, dass Gott sich in der Geschichte Israels und in der Person Jesu offenbart hat, und wer weiß, dass es eines Tages ein Gericht gibt, vor dem wir uns zu verantworten haben, der ist offener für das Evangelium als manch ein religiös Uninteressierter. Und damit vielleicht „nicht fern vom Reich Gottes“ (Mk 12,34).

Nicht fern bedeutet allerdings immer noch: Außen vor. Deshalb geht es bei den „Gottes-fürchtigen“ nicht darum, die Grenzen der Religionen zu vermischen oder die Grenzen zwischen Heil und Unheil aufzulösen. Im Neuen Testament wird sehr deutlich, dass auch die Gottesfürchtigen den Glauben an Jesus brauchen, um gerettet zu werden. Aber der Respekt und die Wertschätzung, mit denen dort den Gottesfürchtigen begegnet wird, könnte für uns ein Modell sein für unseren eigenen Umgang mit denen, die außen vor sind – und doch nahe dran.

 

Guido Baltes (Jg. 1968) ist Pfarrer der Evangelischen Kirche von Kurhessen und Waldeck und gehört zum Leitungsteam des Christus-Treff Marburg e.V. Außerdem unterrichtet er als Dozent für Neues Testament am mbs Bibelseminar. Er ist verheiratet mit Steffi


Quelle: Was uns die Bibel über die ‚Gottesfürchtigen‘ lehrt – Geistesgegenwärtig 3/2015, S. 8-9 (234 kB)

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