Die Mission der ersten Christen

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Die Mission der ersten Christen:

Unaufdringlich, vielfältig, nachhaltig.
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„Willst du mich etwa missionieren?“ Wer seinem Gegenüber diese Frage stellt, vermutet eine böse Absicht. Das Wort Mission hat in unseren Tagen einen verruchten Klang. Das heißt, eigentlich nur dann, wenn er mit Kirche oder Christentum verbunden ist. Unternehmen haben eine Mission, Raumfahrtzentren auch. Aber Kirchen sollten möglichst keine haben. Denn kirchliche Mission wird mit Übergriffigkeit, mit Aufdringlichkeit und Machtmissbrauch verbunden. Auch wenn die Negativbeispiele der Geschichte dabei häufig besser bekannt sind als die vielen unauffälligen positiven Fälle von „Best practice“, die es in jedem Jahrhundert gab.

Manchmal ist es sinnvoll, einmal zum Anfang zurückzugehen, um herauszufinden, was die ursprüngliche Idee war. Und wie man vielleicht dahin zurückkehren kann. Das Wort „missionieren“ z.B. kommt in der Bibel, dem Gründungsbuch des Christentums, gar nicht vor. Kein Mensch kann einen anderen „missionieren“. Denn das Wort „Mission“ bedeutet „Sendung“, und gemeint ist damit Gottes ganz eigene Mission: Gott hat eine Mission, diese Welt durch Liebe zu verändern. Und er sendet Menschen, um diese Mission in die Tat umzusetzen. Menschen sollten also nicht andere missionieren, sondern sie sollten sich bestenfalls „missionieren lassen“ – also senden lassen von Gott. Jesus zum Beispiel redet im Neuen Testament mehr als 25 Mal davon, dass er von Gott gesendet wurde. Und dann sendet er selbst seine Jünger. Unsere Mission als Kirche ist es also, mitzumachen an der großen Mission Gottes in dieser Welt.

Aber wie sah das aus am Anfang? Es lohnt sich, einmal nachzulesen, was Jesus seinen Gesandten mit auf den Weg gibt (Lukasevangelium, 10. Kapitel). Missionare sollen sich zu den Lämmern zählen, nicht zu den Wölfen. Sie sollen sich nicht auf Geld verlassen. Sie sollen Frieden, nicht Streit, in die Häuser bringen. Sie sollen Heilung in die Städte bringen. Im Buch der Apostelgeschichte kann man nachlesen, wie diese Anweisungen in den ersten Jahrzehnten in die Tat umgesetzt wurden. Das Christentum breitete sich weder durch eine machtvolle Kirche noch durch militärische Eroberungen oder groß angelegte Marketingkampagnen aus. Sondern durch Menschen, die ihren Alltag teilten. Durch eine Gemeinschaft und Gottesdienste, die einladend und anziehend wirkten. Und durch die Bereitschaft von einzelnen Personen, die Grenzen ihres Alltags zu überschreiten und den christlichen Glauben in neue geografische, politische und soziale Umfelder hineinzutragen.

Es lohnt sich, bei der Lektüre der Apostelgeschichte einmal nicht nur auf die berühmten Missionsreisen und öffentlichen Predigten des Paulus zu achten. Beide kann man an zwei Händen abzählen. Viel wichtiger, und in ihrer Wirkung nachhaltiger, waren die langen Zeiten dazwischen: Zeiten, in denen Paulus für Jahre an einem Ort lebte und einer gewöhnlichen Arbeit nachging, um sein Leben mit Menschen zu teilen und damit auch seinen Glauben. So blieb er eineinhalb Jahre in Korinth (Apg 18,11), zwei Jahre in Ephesus (Apg 19,10) und dann noch einmal einige Jahre in Rom (Apg 28,30). Diese Art der „Alltagsmission“ im normalen Leben ist für die Zeit der Apostelgeschichte viel typischer als das klassische Bild vom „Wandermissionar“. Und sie war nachhaltiger. Denn Korinth, Ephesus und Rom entwickelten sich dauerhaft zu Zentren des Christentums.

Unbekannter als die Berichte des Neuen Testaments ist die Zeit der nächsten drei Jahrhunderte. Auch hier konnte die Kirche sich noch nicht mithilfe staatlicher Macht, sondern nur auf leisen Sohlen ausbreiten. Oft sogar unter dem Druck staatlicher Verfolgung. Auch hier wissen wir nur wenig von einzelnen „Missionaren“, die in fremde Länder zogen. Der Evangelist Markus soll in Ägypten eine christliche Gemeinde geründet haben. Der Jünger Thomas soll sogar bis nach Indien gereist sein, wo sich noch heute einheimische Kirchen auf ihn berufen. In Armenien entstand um 300 n.Chr. eine christliche Kirche durch den Prediger Gregor, der in seiner Kindheit als Flüchtling in Kappadozien das Christentum kennengelernt hatte.

Der „Normalfall“ der Mission sah aber auch in diesen Jahrhunderten anders aus: So finden wir entlang des Rheins bis nach Xanten am Niederrhein Spuren von christlichen Familien, ebenso wie in Frankreich und im Süden Englands. Hier waren es wieder die ganz normalen Alltagsbeziehungen, die den christlichen Glauben vor allem in den Städten verbreiteten. Unternehmer, die Geschäftsbeziehungen zu anderen Städten unterhielten oder neue Filialen an neuen Orten aufbauten. Soldaten, die ihrer Garnision folgten. Beamte, die von Rom aus entsandt wurden. Vor aber allem die Frauen spielten eine wichtige Rolle: Wir wissen aus vielen Berichten, dass die Frauen den Glauben mit in die Häuser brachten, oft sogar gegen den Willen ihrer Männer, die angesichts der neuartigen Religion um ihren guten Ruf fürchteten.

Allerdings wurden die christlichen Gruppen auch dort, wo man ihren Glauben nicht teilte, für ihre Taten geschätzt, die oft lauter sprachen als die Worte. „Wir helfen, wie wir können, allen die Mangel leiden,“ schrieb der christliche Schriftsteller Justin um 165 n.Chr., „wir alle auf der weiten Erde haben unsere Kriegswaffen umgetauscht, Schwerter gegen Pflugscharen, Lanzen gegen Ackergeräte. Und nun treten wir für Gottesfurcht, Gerechtigkeit, Menschenfreundlichkeit, Glauben und Zukunftshoffnung ein“. Justins Zeitgenosse Aristides berichtet, dass Christen Geld sammelten, um Begräbnisse zu finanzieren, wenn arme Familien sich diese nicht leisten konnten. In Kappadokien gründeten Christen im 4. Jh. öffentliche Krankenhäuser. Auch das war für sie Teil von Gottes Mission.

Wieder anders verbreite sich der Glaube in Ägypten, Syrien und Persien: Nicht in den brummenden städtischen Zentren, sondern in der Einsamkeit der Wüste entstanden kleine Gemeinschaften von Christen, die sich dem Gebet und dem Bibelstudium widmeten und bald bei der Bevölkerung für ihren einfachen Lebensstil, ihre intensive Spiritualität und ihre praktische Lebensweisheit berühmt waren. Menschen aus dem ganzen Umland suchten Rat, Hilfe und Orientierung in diesen Zentren geistlichen Lebens, nach deren Vorbild später auch im Westen Klostergemeinschaften entstanden.

Und schließlich waren da noch die Dichter und Denker: Sie verbreiteten den Glauben an Akademien und Hochschulen, vor allem durch ihre Schriften. Man nennt sie die „Apologeten“, nach dem griechischen Wort für „Antwort geben“: Anknüpfend an die Werke antiker Philosophen und Dichter versuchten sie, den Glauben verständlich zu machen für Menschen mit Fragen.

Wirft man einen Blick auf diese ersten Jahrhunderte der Mission, so wird deutlich: Mission ist vor allem vielfältig. Sie geschieht im Alltag und auf Reisen, durch Wanderprediger und Ortsansässige, durch Geschäftsleute und Geflüchtete, durch Frauen und Männer, Soldaten und Mönche, Akademiker und Beter, in städtischen Ballungszentren und in abgelegenen Rückzugsorten. Wo Kirche keine Macht hat, da wird sie kreativ. Und Glaube wird nicht aufgedrängt, sondern angeboten. Nicht vermarktet, sondern einfach gelebt und geteilt. Aber gerade so, auf den vielen kleinen Wegen, hat er sich ausgebreitet im gesamten römischen Reich und darüber hinaus: Als der römische Kaiser Konstantin das Christentum offiziell anerkennt, da ist es längst schon überall präsent: Von Großbritannien bis in den Jemen, von Spanien bis Georgien. Vom Kaiserhaus bis in die Quartiere der Sklaven.

Vielleicht ist es in einer Zeit, in der die Kirchen an politischer Macht und öffentlichem Einfluss verlieren, gut, sich wieder an diese Anfänge zu erinnern. An eine Mission, die auf leisen Sohlen daherkam und doch auf vielfältige Weise kreativ den Glauben ausbreitete. Und so die Welt von damals nachhaltig veränderte.

(erschienen in: Von Wegen. Magazin der Evangelischen Stadtmission Freiburg 2/2021, 22-25)

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