Ist Gott ein Rassist?

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Ist Gott ein Rassist?

Das Gottesbild im Alten Testament und in den Köpfen moderner Bibelleser.
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Ist Gott ein Rassist? Manches, was man zur Zeit im Fernsehen und in anderen Medien zu sehen bekommt, könnte zu dieser Schlussfolgerung führen: Auf der ganzen Welt protestieren Menschen gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und die Benachteiligung von nicht-weißen Menschen in unseren Gesellschaften. Inmitten dieser Bilder aber stellt sich der amerikanische Präsident Trump, selbst ein Weißer, nicht etwa an die Seite derer, die da protestieren, sondern mit erhobener Bibel in der Hand gegen sie. Ist Gott also auf seiner Seite?

In Deutschland protestieren aufgebrachte Menschenmengen im Namen des „christlichen Abendlandes“ gegen die Aufnahme von Geflüchteten und gegen das Gastrecht der freien Religionsausübung, das Andersgläubige in unserem Land genießen. Auch das erweckt den Eindruck, als sei Gott vor allem auf Seiten der weißen Europäer und gegen Menschen anderer Herkunft.

Wir sind nicht unschuldig

Ja, es gibt natürlich auch das Gegenteil: Die großen Kirchen haben sich in Deutschland seit vielen Jahren sehr deutlich die Stimme für Geflüchtete und gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus erhoben. Die größte Anzahl von Migrationskirchen findet sich in Deutschland gerade im Bereich der Freikirchen und der Gemeinden evangelikal-pfingstlicher Prägung. Eine programmatische Verknüpfung von Bibeltreue, Nationalismus und Rassismus, wie sie in den USA verbreitet ist, ist daher in Deutschland eher selten.

Aber dennoch sind auch bei uns christlicher Glaube und westlich-europäische Kultur oft so eng miteinander verknüpft, dass man denken könnte, Gott wäre ein Europäer und das Christentum eine westliche Religion: In traditionellen Kirchen ist diese Verknüpfung durch die oft Jahrhunderte alten Traditionen gegeben, die das Liedgut, den Gottesdienst und die kirchliche Sprache prägen, und die natürlich in der deutschen Kulturgeschichte verwurzelt sind. In den modernen Gemeinden und Gemeinschaften ist es dagegen oft die einseitige Orientierung an amerikanischer Popkultur und Sprache, die das Gemeindeleben prägt. Beides, die deutsche Tradition und die amerikanische Popkultur, haben aber wenig zu tun mit der orientalischen biblischen Welt, aus der der christliche Glaube ursprünglich stammte, bevor Missionare ihn zu uns brachten. Und latenter Rassismus gegenüber Menschen anderer Kultur und Hautfarbe ist deshalb auch bei uns vorhanden und viel zu selten ein Thema.

Der Gott des Alten Testaments?

Verstärkt wird das Problem noch durch die lange Tradition des christlichen Antisemitismus und Antijudaismus, eine besondere Spielart des Rassismus. Denn der führte dazu, dass man nicht nur das Judentum, sondern auch den vermeintlichen „Gott des Alten Testaments“ in den dunkelsten Farben malte, damit sich das Christentum um so deutlicher davon abheben konnte. Der Gott des Alten Testaments, so sagte man, ist ein böser, launischer, eifersüchtiger und rassistischer Gott, der sein auserwähltes Volk bevorzugt und dafür alle anderen bekämpft. Unser Jesus, so sagte man, hat mit diesem Gott nichts zu tun. Im Gegenteil: Jesus bekämpfte das Judentum und seinen Exklusivismus. Jesus brachte einen Gott der Liebe, der nicht eifersüchtig und niemals zornig ist.

Rassismus durch Rassismus bekämpfen?

Gerade in den letzten Wochen, in denen das Thema „Rassismus“ wieder verstärkt durch die Schlagzeilen ging, habe ich diese Klischees wieder in vielen Predigten und kirchlichen Stellungnahmen gehört: Man möchte den Rassismus bekämpfen, aber man greift dafür selbst auf alte rassistische Vorurteile zurück. Man erzählt, dass die Juden alle Samariter hassten, aber dass Jesus diesen Hass überwand. Man behauptet, dass Juden andere Völker von ihrem Tempel und ihrem Glauben ausschlossen, und dass erst Jesus die Tür zu Gott auch für sie öffnete. Man behauptet, dass Juden und Heiden nicht zusammen essen durften und Juden die Begegnung mit Nichtjuden mieden. Wer seine Bibel aufmerksam liest und sich ein wenig mit der jüdischen Welt Jesu auskennt, der weiß, dass solche Klischees nicht auf historischen Fakten, sondern auf antijüdischen Vorurteilen beruhen: Man möchte die ersten Christen als Vorkämpfer von Antirassismus und Fremdenfreundlichkeit darstellen, und dafür meint man, die Juden vorher als fremdenfeindliche Rassisten darstellen zu müssen. Aber das ist keine Lösung. Im Gegenteil. Dieser Versuchung sollten widerstehen, wo immer wir ihr begegnen.

Ein Blick in die Bibel

Ein erster Blick in die Bibel zeigt, dass man nicht so einfach unterscheiden kann zwischen dem „Gott des Alten Testaments“ und dem „Gott des Neuen Testaments“. Denn eines ist im Neuen Testament von Anfang an klar: Es gibt nur einen Gott, und der ist der Gott Abrahams, Isaaks, Jakobs und der Vater Jesu Christi. Er bleibt derselbe, im Alten wie im Neuen Testament. Die Bibel beschreibt ihn als einen Gott der Liebe, und das von Anfang an: „Barmherzig und geduldig ist der Herr, geduldig und von großer Güte. So wie ein Vater seine Kinder liebt, so liebt der Gott die, die ihn ehren“. Diese Sätze stammen nicht aus dem Neuen Testament, sondern aus dem Alten (Psalm 103,8 und 13), ebenso wie dieser: „Ich habe dich je und je geliebt“ (Jer 31,3). Es ist dieser Gott der Liebe, von dem Jesus auch im Neuen Testament spricht. Liebe ist in der ganzen Bibel die Grundeigenschaft Gottes, ja mehr als das: Sie ist sein Wesen. „Gott ist Liebe“ (1. Joh 4,16)

Die Kehrseite der Liebe

Es gibt aber in der Bibel natürlich auch die anderen Seiten Gottes: Das Unverständliche, das Dunkle und das Erschreckende. Die Bibel spricht vom zornigen Gott, vom eifersüchtigen Gott. Es macht keinen Sinn, davor die Augen zu verschließen. Aber es wäre falsch, diese Aussagen nur dem Alten Testament oder dem jüdischen Glauben zu schieben. Ein genauer Blick in die Bibel zeigt sogar: Jesus und Paulus sprechen öfter, und schärfer, vom Zorn Gottes als das Alte Testament. Für sie ist der zornige Gott kein anderer, fremder Gott. Sondern der Zorn ist so etwas wie die Kehrseite der Liebe. Gott ist nicht zornig, weil er launisch oder unberechenbar ist wie cholerischer Diktator oder ein Vater, vor dem sich die Kinder fürchten müssen, weil wieder zu viel getrunken hat. Der Zorn, von dem die Bibel spricht, ist der Zorn einer Mutter, der entbrennt, wenn ihren Kindern Unrecht geschieht. Es ist der Zorn über Ungerechtigkeit und Missbrauch, über das Böse, das die Welt plagt. Und es ist der Zorn eines Ehemannes, dem das Herz bricht, weil seine Frau ihn verlässt. Solcher Zorn ist nicht das Gegenteil von Liebe, sondern ein Ausdruck der Liebe.

Ein Gott für alle Menschen

Auch das Bild vom ausgrenzenden Gott des Alten Testaments entpuppt sich bei näherem Hinsehen als Vorurteil: Die vielen Klischees über Hass und Ausgrenzung der Juden gegenüber Samaritern, Römern und anderen Nichtjuden sind, wie ich oben schon erwähnt habe, alte Klischees, die durch die moderne Erforschung des Judentums seit dem zweiten Weltkrieg glücklicherweise überwunden sind. Leider ist das noch nicht auf allen Kanzeln angekommen. Aber schon ein Blick in die Bibel könnte hier den Horizont weiten: Denn hier ist es von den ersten Seiten des Alten Testaments an deutlich, dass Gott, anders als viele andere antike Götter, ein Gott aller Menschen und aller Völker ist: Der Regenbogen in den Wolken ist Gottes Segenszeichen für alle Volksgruppen der Welt (1. Mose 9,16). Das Volk Israel wird erwählt, um allen Völkern Segen und Licht zu bringen (Jes 49,6). Schon im Alten Testament schließen sich immer wieder Menschen aus anderen Völkern dem Volk Israel an, weil der Gott Israels ihnen begegnet ist. Das Buch Ruth erzählt beispielhaft davon, und Ruth gehört sogar zu den Vorfahren Jesu. Der Gott des Alten Testaments ist ein Gott aller Völker, und er begegnet Menschen aus allen Völkern. Auch daran ändert sich im Neuen Testament nichts.

Offene Fragen bleiben

Natürlich bleiben offene Fragen. Es gibt auch für mich in der Bibel viel Dunkles, was ich nicht verstehe. Dazu gehören auch die Bibeltexte, in denen Gott Krieg führt oder Kriege gegen andere Völker anordnet. Manche Menschen finden auch dafür (theo-)logische Erklärungen. Ich möchte das aber nicht. Stattdessen halte ich Gott die Dinge fragend und klagend hin, die ich an ihm nicht verstehe. Und halte mich solange an denen fest, die ich verstanden habe. Dazu gehört es, dass der Gott des Alten und des Neuen Testaments ein Gott der Liebe ist. Dazu gehört es auch, dass dieser Gott nicht nur das Volk Israel, sondern auch mich dazu berufen hat, diese Liebe an Menschen aller Völker weiterzugeben. Statt mich also auf das zu konzentrieren, was ich nicht verstehe, möchte ich mich lieber für das einsetzen, was ich verstanden habe: Für eine Kirche, die nicht ausgrenzt, sondern einlädt. Und die beherzt eintritt gegen Rassismus und Ausgrenzung, in unserer Gesellschaft und in den eigenen Reihen.

 

Guido Baltes: Ist Gott ein Rassist? Das Gottesbild im Alten Testament und in den Köpfen modernener Bibelleser. Zuerst erschienen als „Sind vor Gott alle Menschen gleich?“, in: DGD-Net. Netzwerk Deutscher Gemeinschafts-Diakonieverband. Ausgabe 3/2020. Seite 1-2. Der Original-Artikel kann hier heruntergeladen werden.

 

 

 

 

 

 

 

 

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