Bibelschwurbel und Bibelkritik. Folge 7: Wieviel Theologie braucht der Glaube?

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Bibelschwurbel und Bibelkritik. Folge 7: Wieviel Theologie braucht der Glaube?

Corona-Verschwörungen, Populismus und unser Umgang mit der Bibel (Teil 7)

In der letzten Folge habe ich darüber geredet, dass mir bei den Anhängern von geschwurbelten Bibelauslegungen oft eine eigenartige Mischung von Expertengläubigkeit und Expertenfeindlichkeit begegnet.

Auf der einen Seite glaubt man bereitwillig den Theorien einzelner Experten, die man im Internet oder in sozialen Netzwerken findet. Auf der anderen Seite ist man aber nicht bereit, solche Theorien anhand von seriöser Fachliteratur zu prüfen, wie sie sich zum Beispiel an Universitäten oder auf Plattformen wie Wibilex oder Wirelex findet.

Antworten, die ich dann oft höre, lauten:

  • Jesus hat auch nicht Theologie studiert.
  • Hier geht es doch um eine Herzenshaltung, nicht um Theologie
  • Theologen leben in ihrem Elfenbeinturm und haben ohnehin keine Ahnung vom echten Leben.
  • Und schließlich: Wenn Gott wirklich durch die Bibel zu uns reden möchte, müsste sie dann nicht jedes Kind auch ohne Theologiestudium verstehen können?

Eine Antwort auf diese unterschwellige Theologie- und Wissenschaftsfeindlichkeit ist gar nicht so leicht, weil man nicht so recht weiß, wo man anfangen soll.

Ich versuche es mal einfach zu sagen: Die Antwort ist: Ja und Nein.

Ja, es ist gemeinsame Überzeugung aller Kirchen, dass Gott durch die Bibel zu uns reden möchte, und zwar zu uns allen, unabhängig von unserem Bildungsgrad.

Und gleichzeitig nein, denn dieses Reden Gottes in der Bibel stellen wir uns nicht so vor, dass Gott vom Himmel eine Botschaft an alle Menschen diktiert hat, die in jeder Sprache von jedem Menschen in jedem Jahrhundert sofort verstanden werden kann. Sondern Gott hat es gefallen, zu uns zu reden in eine bestimmte konkrete geschichtliche Situation hinein. Durch Menschen, die eine bestimmte Sprache sprachen. In eine bestimmte kulturelle Situation hinein, die damals anders war als heute.

Die Kinder auf den Straßen von Kapernaum haben die Worte Jesu unmittelbar verstehen können, weil sie die gleiche Sprache sprachen wie er und in derselben Welt lebten. Für uns heute kostet es viel Mühe und viel wissenschatliche Forschung, uns auf den gleichen Wissensstand zu arbeiten wie ein Kind in den Straßen von Kapernaum.

Was bedeutet das aber nun? Ist die Bibel doch nur etwas für die gebildete Elite? Sollte man als Nichttheologe lieber gleich die Finger davon lassen? Meine Antwort wäre: Nein. Aber wir sollten noch einmal etwas realistischer darauf schauen, was die Bibel eigentlich ist und wie man sie sinnvoll lesen kann.

Die Idee, dass ich mich alleine hinsetze, mit einem Buch in der Hand, und alles, was ich wissen muss, aus diesem Buch erschließen kann, ohne dass es mir jemand erklärt, ist eine sehr moderne Idee.

Die Bibel ist nie dafür geschrieben worden, dass man sie alleine liest. Die Bibel wurde geschrieben für das Vorlesen in einer Gemeinschaft. Und sie wurde immer ausgelegt in einer Gemeinschaft. Dabei spielte das gesammelte Wissen der Eltern und der anderen Gemeindemitglieder eine wichtige Rolle, das von Generation zu Generation weitergegeben wurde. Die Bibel wurde immer schon zusammen mit einer Auslegung gelesen und weitergegeben. Sie war immer eingebettet in einen Strom von Tradition.

Zusammen mit der Bibel wurde eine riesige Wolke von Weltwissen, von Lebenserfahrung, von möglichen und unmöglichen Auslegungen weitergegeben. Dazu musste man nicht Theologie studieren, sondern man bekam dieses Weltwissen von den Eltern, den Lehrern und von seiner Gemeinde vermittelt. Und damals war es üblich, anders als heute, dass man solches Wissen der Eltern und der Älteren übernommen und angenommen hat, ohne es groß in Frage zu stellen.

In den katholischen und orthodoxen Kirchen hat die lebendige Überlieferung der Gemeinde daher nahezu den gleichen Stellenwert wie die Bibel selbst. Weil sie eben nie dazu gedacht war, dass man sie allein und losgelöst vom Strom der Gemeinde und der Überlieferung liest.

Das änderte sich erst in der Reformationszeit. Und zwar durch die Einsicht, dass sich mit der Zeit eben auch viel Falsches und Schädliches mit hineingemischt hat in den Strom der Überlieferung. Die Reformatoren haben deshalb gesagt: Wir wollen zurück zum Anfang, zu den Ursprüngen. Wir wollen die Bibel gern so lesen, als gäbe es den ganzen Strom der Überlieferung nicht.

Ja, wir möchten sie sogar gegen den Strom der Überlieferung lesen, weil wir die Überlieferung mit Hilfe der Bibel in Frage stellen wollen. Wir wollen die Bibel kritisch lesen, in dem Sinne, dass wir kritisch unterscheiden zwischen dem, was in der Bibel steht und dem, was die kirchliche Überlieferung lehrt.

Die Reformatoren hatten aber eine wichtigste Einsicht: Wenn wir die Bibel wirklich herauslösen wollen aus dem reichen Strom der Überlieferung, dann müssen wir uns das, was uns an Hintergrundwissen fehlt, mühsam wieder erarbeiten durch wissenschaftliches Studium.

Wo man die Bibel von der Tradition löst, wird also die kritische Wissenschaft um so wichtiger. Denn wir müssen uns jetzt das ganze Wissen über die Bedeutung von Worten und über die kulturellen Hintergründe selbst erarbeiten, von Null auf. Wenn das, was unsere Eltern und Lehrer uns sagen, nicht mehr gilt, dann müssen wir wieder ganz vor vorn anfangen.

Deshalb wurde seit der Reformationszeit das wissenschaftliche Theologiestudium für jeden, der die Bibel auslegen wollte, verpflichtend. Gleichzeitig hat man aber den so ausgebildeten Pfarrern auch ein Monopol der Bibelauslegung zugeschrieben. Bis heute braucht man deshalb ein Theologiestudium, um in der evangelischen Kirche offiziell predigen zu dürfen.

In der heutigen Zeit wirkt aber auch dieses Modell veraltet: Es gibt so viele Freikirchen und unabhängige Gemeinden, in denen niemand studiert hat und trotzdem viel geistliches Leben herrscht. Es gibt viele Hauskreise, in denen man zusammen Bibel liest, auch ohne historisches Hintergrundwissen und ohne Kenntnis der Ursprachen. Und ich unterstütze das unbedingt.

Warum funktioniert das Bibellesen in solchen Kontexten auch ohne Studium? Weil wir, oft ohne es zu merken, es genau so machen wie die frühen Christen und die alte Kirche: Wir lesen unsere Bibel eingebettet in den Strom dessen, was unsere Eltern und unsere Gemeinden und gelehrt haben. Vieles, was wir an sich ganz für uns allein gar nicht verstehen könnten, verstehen wir, weil es uns irgendwann einmal irgendjemand erklärt hat. Und der hat es wieder von irgendjemandem gehört und so weiter.

Deswegen funktioniert Bibel lesen und Bibel verstehen in den meisten Fällen auch ohne das nötige Fachwissen. Wir vertrauen dem, was wir gelernt haben.

Das Problem entsteht da, wo wir zu recht anfangen, das was wir gelernt haben, auch mal in Frage zu stellen: Also wenn wir anfangen, kritisch Bibel zu lesen. Wenn wir das in Frage stellen, was uns immer beigebracht wurde. Und wenn wir es überprüfen wollen.

Wie etwa die Frage nach der Hölle, der wir in dieser Reihe immer wieder nachgegangen sind.

Und wir tun das eben, heute anders als früher: Früher galt das, was die Eltern und Lehrer uns beigebracht haben, automatisch als richtig. Heute ist es gerade umgekehrt: Wenn es von den Eltern kommt, steht es unter Generalverdacht. Und wenn es von der Geeinde kommt, auch.

Was also, wenn wir heute wie die Reformatoren die Bibel gegen den Strich der kirchlichen Lehre lesen wollen? Wenn wir Neues entdecken wollen? Dann, würde ich sagen, verlassen wir die Ebene des einfachen und erbaulichen Bibellesens und betreten die Ebene des kritischen Bibellesens.

Und für diese Ebene brauchen wir dann auch die nötige Hintergrundkenntnis und sollten auf das Wort von Experten hören. Es ist möglich, sich mit der Bibel gegen Eltern, gegen Gemeinden, gegen christliche Tradition und gegen gesellschaftliche Konvention zu stellen.

Die Reformatoren haben das gezeigt, ebenso wie die Anführer der Abolitionist Bewegung in den USA und die Mütter und Väter der bekennenden Kirche.

Aber wenn man das macht, wenn man sich nach neuen, überraschenden und alternativen Bibelauslegungen sucht, wenn man sich ganz bewusst aus dem Strom der kirchlichen Überlieferung löst und freischwimmt, dann braucht man eben wieder, wie auch die Reformatoren, das nötige Fachwissen.

Sonst ist die Gefahr groß, dass man in die Bibel nur das hineinschwurbelt, was man gerne darin finden würde.

Also: Wie viel Theologie braucht der Glaube? Und kann man die Bibel auch ohne theologisches Fachwissen lesen? Die Antwort lautet:

Ja, man kann, solange das Lesen der Bibel eingebettet ist in den breiten Strom der Überlieferung und das gesammelte Weltwissen der bibellesenden Gemeinde.

Die Antwort lautet aber: Nein, kann man man nicht, wenn man dieses Weltwissen ganz bewusst in Frage stellt und es von der Bibel her kritisch prüfen möchte. Wenn man sich lösen möchte aus dem Strom der Überlieferung, dann sollte man dafür das nötige Fachwissen haben.

Man muss dazu nicht Theologie studieren. Man sollte aber wenigstens den Rat und das Urteil derer einholen und ernstnehmen, die das getan haben. Eine gute Quelle dafür ist seriöse Fachliteratur. Wenn man diese bewusst ignoriert oder meint, aus eigener Erkenntnis auch gegen die Mehrheit der Fachwissenschaft überraschende alternative Bibelauslegungen gefunden zu haben, dann ist die Gefahr groß, dass es sich dabei nicht um seriöse Bibelkritik, sondern um Bibelgeschwurbel handelt.

Die Expertenfeindlichkeit, die wir bei vielen Verschwörungstheorien beobachten können, ist ebenso gefährlich wie die Theologenfeindlichkeit, die in manchen Kreisen von Bibelschwurblern gern dazu benutzt wird, sachliche und fachliche Kritik vom Tisch zu wischen.

Kritisches Bibellesen aber stellt sich solcher Kritik und meidet nicht den Rat der seriösen Bibelwissenschaft.

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