Bibelschwurbel und Bibelkritik. Folge 11: „Was Christum treibet“: Ein erfundenes Luther-Zitat?

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Bibelschwurbel und Bibelkritik. Folge 11: „Was Christum treibet“: Ein erfundenes Luther-Zitat?

In der letzten Folge ging es um die Frage, ob es für die Bibelauslegung eine Art Generalschlüssel gibt, eine einfache Formel, anhand der man entscheiden kann, ob man Aussagen der Bibel annehmen oder ablehnen sollte.

Solche einfachen Erklärungsschlüssel findet man ja oft auch bei Verschwörungstheorien, die komplexe Zusammenhänge auf eine einfache Erklärung reduzieren. Komplexitätsreduktion nennt man das.

Heute geht es wieder um so einen Generalschlüssel, den man sehr oft hört. Vor allem, wenn es um den Umgang mit schwierigen Bibeltexten geht.

Man muss, so heißt es dann, immer darauf schauen, „was Christum treibet“.

Und weil das ein bisschen altes deutsch ist, wird es oft noch übersetzt und erklärt. Zum Beispiel so: Man muss bei jeder Aussage der Bibel darauf schauen, ob sie zu Jesus passt oder nicht. Wenn sie zu Jesus passt, dann kann man sie akzeptieren. Wenn sie nicht zu Jesus passt, dann muss man sie ablehnen.

Und in den meisten Fällen wird dann noch hinzugefügt, dass diese alte Faustregel von Martin Luther stammen soll.

Nun klingt auch das wie in der letzten Folge auf den ersten Blick sehr vernünftig und sehr plausibel. Erstens ist es immer gut, Jesus als Maßstab zu nehmen und zweitens kann es ja nicht so falsch sein, wenn man sich dabei sogar auf Martin Luther berufen kann.

Warum birgt diese Formel also dennoch die Gefahr, zum Bibelschwurbel missbraucht zu werden?

Der Berliner Theologe Christoph Markschies hat in einem Artikel aus dem Lutherjahr 2017 darauf hingewiesen, dass dieses Lutherzitat in den allermeisten Fällen nicht nur falsch zitiuert, sondern auch zu Unrecht verwendet wird.

Er erzählt zum Beispiel davon, dass einer seiner Kollegen gleich das ganze Alte Testament aus der christlichen Bibel entfernen wollte, und sich dabei ausgerechnet auf diese Formel berief.

Markschies nennt das zwar nicht direkt „Bibelschwurbeln“, aber er benutzt doch ungewöhnlich scharfe Worte für diese Art der Bibelauslegung und spricht von „der Sünde des Hochmuts der Theologen“.

Etwas galanter fährt er dann fort: „Mir scheint die Berufung auf Luther in dieser Argumentation nicht unproblematisch“. Nicht unproblematisch, das bedeutet unter Professoren schon eher so viel wie: ziemlich fragwürdig.

Wo also liegt das Problem? Es sind eigentlich drei Probleme, die ich kurz erklären will:

Erstens hat Luther die berühmte Formel „Was Christum treibet“ so nie gesagt.

Zweitens hat er das, was er gesagt hat, nicht so gemeint, wie es heute verwendet wird.

Und drittens: Selbst wenn man mit der Faustregel „Was Christum treibet“ sperrige Texte aus der Bibel entfernt, dann sollte man sich klar sein, dass man damit ja wieder, wie schon in den letzten Folgen, nicht Bibeltexte auslegt, sondern Bibeltexte ablehnt.

Aber fangen wir mit dem ersten Problem an:

Die Formel „Was Christum treibet“ stammt, auch wenn es überrascht, tatsächlich nicht von Luther. Egal, wie oft sie zitiert wird, sie findet sich so nicht in den Schriften von Luther.

Es gibt allerdings eine Formulierung, die sehr ähnlich klingt. Aber damit sind wir schon beim zweiten Problem. Denn gemeint ist dort etwas ganz anderes.

Luther begründet in den Erklärungen zu seiner deutschen Bibelübersetzung, warum er den Jakobusbrief und den Judasbrief ans Ende seiner Bibel geordnet hat.

Man müsse nämlich, so Luther, die biblischen Bücher nach Ihrem Inhalt anordnen. Zuerst kommen die rechtschaffenen Bücher, wie Luther sie nennt. Also die, die „Christum treiben“. Gemeint ist: Die von Jesus erzählen und lehren. Die vom Leben und Sterben Jesu handeln.

Am Ende kommen bei ihm die, die nicht Christum treiben, die also nicht von Jesus handeln und lehren. Das ist im Jakobusbrief und im Judasbrief so. Da stehen zwar viele wichtige Dinge drin, aber nichts über das Leben und Sterben Jesu.

In dem berühmten Zitat schreibt Luther nun: Daran muss man alle Bücher der Bibel prüfen, „wenn man sieht, ob sie Christum treiben oder nicht“ (WA Deutsche Bibel VII, 285).

Es geht bei diesem Zitat überhaupt nicht um Bibelauslegung, sondern um die Frage, welche Bücher zu Bibel gehören und wo sie innerhalb der Bibel eingeordnet werden sollen.

Luther hat einzelne Bücher der Bibel weiter nach hinten sortiert, weil sie nicht von Jesus erzählen. Für seine Anordnung der biblischen Bücher war es wichtig, „ob sie Christum treiben oder nicht“, ob sie die Jesusgeschichte erzählen oder nicht.

Innerhalb von biblischen Büchern nur das gelten zu lassen, „was Christus treibt“, das wäre ihm nie in den Sinn gekommen. Und das hat er ja auch nie gesagt.

Vollends schwurbelig wird es aber dann, wenn man dieses Kriterium, das nicht von Luther stammt, auf Jesus selbst anwendet und Aussagen von Jesus mit der Begründung ablehnt, dass sie nicht dem entsprechen entsprechen, „was Christum treibet“.

Mit anderen Worten: Wenn man Jesusworte deshalb ablehnt, weil sie nicht zu Jesus passen.

Wir haben uns ja in dieser Serie als Fallbeispiel die Aussagen Jesu über die Hölle ausgesucht. Sperrige Aussagen. Und unbequeme Aussagen.  Viele Ausleger lehnen diese Worte ab, weil sie nicht zu dem passen, „was Christum treibet“.

Kritische Bibelwissenschaft arbeitet auch hier wieder anders: Was zu Jesus passt und was nicht, das muss man erst anhand der Worte Jesu herausfinden, die wir im Neuen Testament finden.

Wie kann man also Jesusworte aus der Bibel streichen, weil sie nicht zu Jesus passen?

Die Antwort lautet vermutlich: Die meisten Leute, die das Lutherzitat „was Christum treibet“ als Faustregel benutzen, meinen in Wirklichkeit: „Was zu meinem Bild von Jesus passt“.

Das ist dann meistens ein Bild von Jesus, bei dem die unbequemen Seiten und die unpassenden Worte vorher schon entfernt wurden. Dieses selbst entworfene Idealbild legt man dann an die Bibel an und sagt: Für mich gilt nur das, was zu meinem Jesusbild passt. Was Christum treibet.

Christoph Markschies beschreibt diese Art der Bibelauslegung so:

Unter der Hand verkehre man das alte Prinzip „sola Scriptura“, „allein die Schrift“ in ein neues Prinzip, nämlich „sola parte scripturae“, also „allein ein Teil der Schrift“, nämlich den Teil, der meiner Theologie passt.

Markschies schreibt weiter: Gerade die Teile, die wir an den Rand drängen oder abwerten, weil sie nicht in unsere Theologie reinpassen, das sind die Teile der Bibel, die wir dringend brauchen, weil sie uns korrigieren. Nur die Bibel in ihrer Gesamtheit ist die Bibel der Christenheit. Und die Bibel, die uns mit unseren Einseitigkeiten kritisch in Frage stellen kann.

„Was Christum treibet“ eignet sich also ebenso wenig wie das Prinzip der Nächstenliebe als Generalschlüssel der Bibelauslegung, mit dem man zwischen gültigen und ungültigen Teilen unterscheiden kann.

Die wichtigsten und zentralen Teile der Bibel sind zweifellos die, die von Jesus erzählen, die also „Christum treiben“. So weit hat Luther recht und darin ist sich auch die kritische Bibelwissenschaft einig.

Aber mit einem falsch zitierten Lutherwort, das Luther zudem ganz anders gemeint hat, gegen Bibeltexte vorzugehen, die meiner Meinung nach nicht zu Jesus passen, und das auch dann noch, wenn diese Texte von Jesus selbst handeln, das wäre nicht kritische Bibelauslegung, sondern Bibelgeschwurbel.

 

Literaturhinweise:

Christoph Markschies, „Sola scriptura: Was sollte reformatorische Theologie von katholischer Theologie lernen?“ Theologie und Philosophie 92/2017, 390-403

Ausführlicher zum Wortlaut und zur Bedeutung des Lutherzitats der von Markschies in Fussnote 60 zitierte Artikel von Clemens Hägele, „Mit Christus gegen die Apostel? Beobachtungen zur Deutung zweier Lutherworte„, Deutsches Pfarrerblatt 10/2016 (http://www.pfarrerverband.de/pfarrerblatt/index. php?a=show&id=4147; letzter Zugriff am 25.05.2017)

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