Bibelschwurbel und Bibelkritik. Teil 13: Whataboutism. Bibelauslegung durch Ablenkung

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Bibelschwurbel und Bibelkritik. Folge 13: Whataboutism. Bibelauslegung durch Ablenkung

Ein Begriff, der uns in der Auseinandersetzung mit Verschwörungstheorien in der letzten Zeit sehr oft begegnet ist, ist das Phänomen Whataboutism.

Diese Bezeichnung „Whataboutism“ stammt eigentlich aus der Analyse politischer Propaganda und bezeichnet eine Strategie, mit der man sich sachliche und inhaltliche Kritik vom Leib hält, indem man vom Thema ablenkt und das Gegenüber persönlich angreift.

Wie funktioniert Whataboutism? „What about“ ist ja englisch und bedeutet: „Aber was ist denn mit…“ Man benutzt die Phrase, um unauffällig auf ein anderes Thema auszuweichen und damit von der Kritik an sich selbst abzulenken.

In der Politik geht das zum Beispiel so: Die chinesische Regierung wird von westlichen kritisiert für Menschenrechtsverletzungen, und antwortet: Aber was ist denn mit euch? Bei euch gibt es reiche Kapitalisten, die die Armen ausbeuten. Und rassistische Polizisten, die Schwarze verprügeln.

Wenn Präsident Trump auf eine seiner vielen Lügen angesprochen wird, dann reagiert er oft mit einem „What about“: Anstatt sich für die Lüge zu entschuldigen oder wenigstens zu versuchen, sich rauszureden, verweist er einfach darauf, dass jemand anders noch viel schlimmer ist als er.

Als in Berlin die Demonstration der „Querdenker“ dafür kritisiert wurde, dass Abstandsregeln nicht eingehalten wurden, haben viele der Demonstranten einfach auf andere Demonstrationen verwiesen, wo auch keine Abstände eingehalten wurden. So als ob der Fehler der anderen den eigenen Fehler besser macht.

Als kritisiert wurde, dass die Demonstrationen von vielen Rechtsextremen Gruppen und der Reichsbürger-Bewegung für eigene Zwecke genutzt wurden, hat man geantwortet: Aber was ist denn mit den vielen Linksextremen, die sich unter die Demos gegen Rassismus mischen?

Whataboutism. Auf Kritik nicht antworten, sondern vom Thema ablenken und mit Kritik an demjenigen antworten, der mich kritisiert. Ablenken durch Gegenangriff. Eine Methode der Auseinandersetzung, die immer gut funktioniert, aber eben nicht seriös ist, sondern zu den Strategien der Propaganda und der Manipulation gehört.

Auch in der Bibelauslegung wird diese Strategie gerne angewendet.

Anstatt sich wirklich über Bibeltexte und ihre Bedeutung zu unterhalten, lenkt man geschickt von der eigentlichen Frage ab auf andere Themen. Und am besten durch einen Verweis auf die Fehler und Schwächen derer, die die eigene Auslegung kritisieren.

Auch in dieser Folge bleibe ich bei dem Fallbeispiel, das uns jetzt schon durch die gesamte Reihe begleitet.

An sich eine einfache Frage. Aber zugleich auch eine sehr unbequeme Frage und auch eine Frage, die am Ende doch sehr viel Gewicht hat.

Nämlich die Frage: Hat Jesus den Menschen mit der Hölle gedroht? Oder haben wir ihn Jahrhundertelang missverstanden und die ganze christliche Lehre von der Hölle ist in Wirklichkeit eine Verdrehung der Bibel?

Das jedenfalls behauptet der christliche Autor Rob Bell in einem Buch, das vor einigen Jahren für Aufsehen sorgte. Ein Buch, wie es auf dem Titel heißt, über Himmel und Hölle und das Schicksal jedes Menschen, der je gelebt hat.

Rob Bell schlägt eine überraschende andere Auslegung der Bibel vor. Wenn sie euch interessiert, hört euch noch einmal die ersten drei Folgen dieser Reihe an. Wir haben schon gesehen, dass die Auslegung, die Ron Bell vorschlägt, sich recht schnell durch einen einfachen Faktencheck im Lexikon als Geschwurbel herausstellt.

Interessant sind aber nun die verschiedenen Strategien, wie man dennoch an einer geschwurbelten Auslegung festhalten kann. Auch dann, wenn der Faktencheck sie widerlegt hat.

Hier liegt eine der großen Parallelen zwischen geschwurbelter Bibelauslegung, geschwurbelten Verschwörungstheorien und geschwurbelter politischer Propaganda.

Über solche Strategien habe ich in den letzten Wochen gesprochen: Expertenfeindlichkeit, Wissenschaftsfeindlichkeit, Zahlenspiele, Komplexitätsreduktion, Antisemitismus. Alle diese Strategien dienen letztlich dazu, den Fakten aus dem Weg zu gehen.

Und auch Whataboutism ist so eine Strategie, den Fakten aus dem Weg zu gehen: Anstatt sich sachlich mit Bibeltexten auseinanderzusetzen, wechselt man das Thema und greift den Gegner persönlich an.

Rob Bell zum Beispiel beschäftigt sich in seinem Buch über Himmel und Hölle nur auf einigen wenigen Seiten mit den Bibeltexten, in denen es um die Hölle geht. Viel mehr Platz nehmen dagegen ganz andere Geschichten ein. Geschichten von heute, in denen es um Menschen geht. Um freundliche Menschen und um böse Menschen. Die freundlichen Menschen teilen meistens die Ansichten von Rob Bell. Die bösen Menschen sind meistens die, deren Meinung Rob Bell widerlegen möchte.

Ganz am Anfang zum Beispiel gibt es die Geschichte von der christlichen Künstlerin, die Mahatma Gandhi bewunderte, weil er ein Friedensstifter war. Und dann die Geschichte von dem unbekannten Christen, der ihr Kunstwerk schändete mit dem Hinweis, Gandhi schmore in der Hölle.

Und auch am Ende des Buches erzählt Rob Bell wieder eine Geschichte: Die Geschichte einer Frau, die immer wieder von ihren Männern misshandelt wurde.

Und dann die biblische Geschichte von dem Vater und den zwei Söhnen. Der Vater, der liebevoll seinen verlorenen Sohn annimmt. Und den älteren Sohn, der nicht bereit ist, sich mit seinem Bruder zu versöhnen.

Geschichten von bösen Menschen und netten Menschen. Geschichten von Tätern und von Opfern.

Und am Ende des Buches ist eigentlich klar, auf welcher Seite man steht:

Natürlich möchte ich nicht zu denen gehören, die christliche Künstlerinnen dissen oder die Mahatma Gandhi zur Hölle schicken. Natürlich möchte ich nicht zu denen gehören, die ihre Frau missbrauchen und auch nicht zu denen, die nicht bereit sind, sich mit ihrem Bruder zu versöhnen. Also muss Rob Bell doch Recht haben mit seiner Bibelauslegung.

Und selbst wenn er unrecht hätte, dann wäre es mir jetzt auch egal. Denn wichtiger als die richtige Bibelauslegung ist doch, dass ich auf der richten Seite stehe. Auf der Seite der  Guten.

Aber dann trete ich einen Schritt zurück und merke: Es geht ja schon längst har nicht mehr um Bibelauslegung. Die Frage, was Jesus über die Hölle gesagt hat, wird durch all diese Geschichten von bösen und von guten Menschen weder beantwortet noch überhaupt gestellt.

Die Geschichten helfen mir zwar dabei, mich auf die richtige Seite zu stellen. Aber sie bringen mir keine neuen Informationen über die Bibeltexte, um die es geht. Und schon gar keine neue Auslegung.

Das wollen sie aber auch gar nicht. Sondern sie wollen von der Frage nach der Bibel ablenken.

Whataboutism nennt man das. Du fragst danach, was Jesus über die Hölle sagt? Ich antworte: Aber was ist denn mit all denen, die unter der Lehre von der Hölle gelitten haben? Und mit denen, die sie für ihre Zwecke missbraucht haben?

Und am Ende ist mir eigentlich egal, was denn Jesus dazu gesagt hat. Hauptsache, ich bin nicht auf der Seite der Bösen, sondern auf der Seite der Guten. Nicht auf der Seite der Täter, sondern an der Seite der Opfer.

Bibelauslegung durch Ablenkung. Whataboutism.

Kritische Bibelwissenschaft arbeitet anders: Sie lenkt nicht von den kritischen Fragen ab, sondern stellt sich ihnen. Sie erzählt nicht Geschichten, um Emotionen zu wecken. Sondern fragt danach, was ein Text bedeutet. Sie greift nicht die Personen an, die den Text anders deuten, sondern versucht, ihre Gründe zu verstehen.

Achtet also einmal darauf, wenn ihr in Zukunft überraschenden oder kontroversen Bibelauslegungen begegnet und schaut genau hin: Wie viel Zeit verwendet der Ausleger damit, wirklich über Bibeltexte zu sprechen und wie sie zu verstehen sind?

Und wieviel Zeit verwendet er darauf, seine Gegner und Kritiker persönlich anzugreifen? Geschichten zu erzählen über ihre Fehler und ihre dunklen Seiten? Geschichten über böse und gute Menschen, über Täter und Opfer. Geschichten, die deutlich machen: Wenn du die Bibel so auslegst wie ich, dann gehörst du zu den Guten. Aber wenn du sie anders auslegst, zu den Bösen. Wer so argumentiert, legt nicht Bibel aus, sondern lenkt von der Bibel ab.

Wenn also ein Bibelausleger mehr Zeit damit verbringt, von Bibeltexten abzulenken als damit, Bibeltexte auszulegen, dann ist die Chance hoch, dass ihr es nicht mit seriöser Bibelkritik, sondern mit unseriösem Bibelgeschwurbel zu tun habt.

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