Bibelschwurbel und Bibelkritik. Teil 15: Das Alles-oder-Nichts Prinzip

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Bibelschwurbel und Bibelkritik. Teil 15: Das Alles-oder-Nichts Prinzip

Heute geht es um das beliebte Alles-oder-Nichts Prinzip. Das begegnet uns nicht nur in der Bibelauslegung, sondern zum Beispiel auch beim Umgang mit Verschwörungstheorien. „Alles ist eine große Verschwörung“. „Nichts darf man mehr sagen“. „Alle Corona-Demonstranten sind Nazis“. „Alle Corona-Kritiker sind Verschwörungstheoretiker“. Oder: „Nichts kann man den Medien mehr glauben.“

In dieser Woche erschien auf der Internetplattform mimikama.at ein Artikel, in dem ich vieles von dem wiedergefunden habe, worum es mir hier in dieser Video-Serie geht. Ein Artikel über den Unterschied zwischen berechtigter Kritik und absurder Kritik. Das ist ungefähr das, was ich den Unterschied zwischen seriöser Kritik und unseriösem Schwurbeln nenne.

mimikama.at ist eine Internetplattform, die sich mit der Aufklärung von Fake News und Verschwörungstheorien im Internet beschäftigt. Und das übrigens schon seit vielen Jahren, lange bevor die Corona-Pandemie angefangen hat.

Berechtigte Kritik und absurde Kritik

Andre Wolf, Pressesprecher vom mimikama, hat in dieser Woche einen Artikel veröffentlicht mit dem Titel „Der Unterschied zwischen berechtigter und absurder Kritik“. Und er stellt darin die Frage: „Ist man automatisch ein Nazi oder Verschwörungsjünger, wenn man Corona-Kritik übt? Nein, auf gar keinen Fall. Es kommt darauf an, wie man die Kritik übt.“ Und dann gibt es in diesem Artikel einige Beispiele für berechtigte Corona-Kritik und einige Beispiele für absurde Corona-Kritik. Ein lesenswerter Artikel.

„Eine berechtigte Kritik“, so schreibt der Autor, „setzt sich mit den Daten und den Statistiken auseinander, die bereits existieren. Sie erschafft nicht irgendwelche Mythen oder wirft irgendwelche gegenteiligen Theorien auf, sondern schaut sich die Faktenlage an.“

Genau diese wichtige Einsicht aus der Corona-Zeit versuche ich in meiner Videoreihe auf den Umgang mit der Bibel zu übertragen. Es gibt berechtigte Bibelkritik und es gibt absurde Bibelkritik, also Bibelgeschwurbel.

Vielen Menschen ist diese Unterscheidung aber zu kompliziert: Sie wollen entweder überhaupt keine Bibelkritik zulassen oder aber alle Kritik an der Bibel für zulässig erklären, egal wie absurd sie auch ist. Alles oder Nichts.

Ich habe in dieser Serie immer wieder über den Unterschied zwischen der Auslegung von Bibeltexten und der Ablehnung von Bibeltexten gesprochen. Und ich habe betont, dass es berechtigte Gründe geben kann, Bibeltexte abzulehnen. Berechtigte Bibelkritik also.

Was ist berechtigte Bibelkritik?

Manche von meinen Zuhörern hat das etwas verwirrt, weil sie grundsätzlich alle Bibelkritik falsch finden und der Überzeugung sind, dass man nichts, was in der Bibel steht, ablehnen sollte. Alles oder Nichts.

Ich will deshalb nochmal erklären, was ich mit „berechtigter Kritik“ meine. Berechtigt heißt nicht unbedingt, dass ich diese Kritik teile oder sie mir auch aneigne. Aber es bedeutet, dass jemand seine Ablehnung gut begründet, so dass ich diese Gründe nachvollziehen kann.

Fangen wir mal im ganz großen an. Natürlich gibt es viele Menschen, die sagen: Ich glaube nicht, dass Gott durch die Bibel zu uns spricht. Ich glaube vielleicht überhaupt nicht an Gott, oder zumindest nicht an den Gott der Bibel. Deshalb lehne ich vieles von dem ab, was in der Bibel steht.

Das ist für mich ein Beispiel für völlig berechtigte Bibelkritik. Jeder Mensch hat das Recht, seinen Glauben frei zu wählen und zu entscheiden, ob er biblische Aussagen annehmen oder ablehnen will. Für mich ist das berechtigte Kritik, auch wenn ich sie selbst nicht teile.

Jetzt gehen wir aber einen Schritt weiter: Es gibt Menschen, die sagen: Ich glaube an Gott, und auch an den Gott der Bibel. Ich glaube auch, dass Gott durch die Bibel zu uns spricht. Und trotzdem gibt es manche Aussagen der Bibel, die ich ablehne. Auch das gibt es, und auch das ist durchaus berechtigt. Wenn man die Gründe beim Namen nennt.

Auch ich schaue mir Worte der Bibel kritisch an und entscheide, ob ich sie annehme oder nicht. Das mache ich ständig. Und ich halte das für berechtigt.

Ein Beispiel: In Psalm 53, Vers 2 steht: „Es gibt keinen Gott“. Das ist eine Aussage der Bibel, die ich nach kritischer Betrachtung ablehne. Warum? Weil ich gute Gründe dafür habe. Berechtigte Kritik kann ihre Gründe benennen. In diesem Fall ist meine Begründung der unmittelbare Kontext dieser Aussage. Denn in Psalm 53, Vers 2 steht zwar: „Es gibt keinen Gott“, aber dieses Zitat ist aus seinem Zusammenhang gerissen. Im Zusammenhang heißt es: „Der Tor sagt in seinem Herzen: Es gibt keinen Gott.“ Ein Tor möchte ich natürlich nicht sein. Und vor allem möchte ich die Bibel ernst nehmen. Und an dieser Stelle sagt die Bibel selbst, dass das, was hier steht, töricht ist.

Dieses kleine Beispiel zeigt, dass Aussagen in der Bibel immer eingebettet sind in einen größeren Kontext. Um sie zu verstehen, muss man sich den Kontext anschauen. Und manchmal führt der Kontext dazu, dass wir entscheiden: Diese Einzelaussage der Bibel ist falsch. Oder sie gilt zumindest für mich nicht.

Ein anderes Beispiel: Gott sagt zu Moses: „Ziehe deine Schuhe aus“, als er ihm am Berg Sinai begegnet /2. Mose 3,5). Und Jesus sagt zu seinen Jüngern: „Geht in das Dorf, das vor euch liegt. Dort werdet ihr eine Eselin finden“ (Mt 21,2). Beides sehr klare Aussagen der Bibel. Trotzdem lehne ich es ab, sie zu befolgen. Warum? Weil der Kontext mir sehr deutlich sagt, dass sie nicht für mich gelten, sondern für ganz konkrete Personen in einer ganz konkreten Situation. Es gibt also berechtigte Gründe, Aussagen der Bibel abzulehnen – oder zumindest abzulehnen, dass sie auch heute für uns gelten.

Bis hierhin war das vielleicht noch selbstverständlich. Aber es wird komplizierter. Woher zum Beispiel weiß ich, dass die Vorschrift „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ auch heute noch gültig ist, und zwar auch für mich? Der Kontext sagt ganz klar, dass dieses Gebot dem Volk Israel gegeben ist, und da gehöre ich nicht dazu.

Warum also sollte ich mich heute daran halten? Wir könnten noch viele andere Beispiele anschauen, und wir würden merken: Jeder von uns, ganz egal wie bibeltreu oder bibelkritisch wir sind, unterscheidet zwischen Texten, die er für sich als wahr und gültig annimmt, und zwischen anderen, die er als unwahr oder als ungültig ablehnt.

Das ist völlig normal und völlig berechtigt und gehört zum kritischen Bibellesen dazu. Wichtig ist, dass wir über die Gründe Auskunft geben können, warum wie etwas annehmen oder ablehnen. Gibt es Fakten oder Beobachtungen in der Bibel selbst, die mich dazu führen? Oder ist es einfach nur, weil mir ein Text persönlich nicht gefällt? Oder ist es, weil ich die Bibel ganz grundsätzlich ablehne? Alle diese Gründe sind erlaubt, man sollte sie nur ehrlich beim Namen nennen.

Das Alles-oder-Nichts Prinzip

Schwurbelig wird es dagegen immer dann, wenn das Alles-oder-Nichts Prinzip ins Spiel kommt. Und zwar sowohl auf der bibeltreuen als auch auf der bibelkritischen Seite: Es gibt Menschen, die sagen: Wenn du auch nur eine einzige Aussage der Bibel in Frage stellst oder ablehnst, dann kannst du ja gleich alles in Frage stellen. So wie bei einem Kartenhaus, das zusammenstürzt, wenn man eine Karte herauszieht. Oder wie bei einem Pullover, bei dem man Angst hat, dass er komplett aufgeriffelt wird, wenn man erst einmal anfängt, an einem Fädchen zu zupfen.

Das ist natürlich Unsinn. Ich habe ja grade schon gezeigt, dass wir alles das andauernd machen – kritische Entscheidungen darüber treffen, welche Aussagen der Bibel für uns gelten und welche nicht. Es gibt hier also kein Ganz oder Gar nicht, sondern nur den kritischen Blick auf das Detail.

Genau so schwurbelig ist aber das Alles-oder-Nichts Prinzip auf der Seite der unseriösen Bibelkritiker. Die sagen nämlich: Wenn du eine Aussage der Bibel ernstnimmst, dann musst du konsequenter Weise alle ernstnehmen. Er die Sache mit der Nächstenliebe ernstnimmt, der darf dann konsequenter Weise auch keine Muscheln essen. Denn beides steht ja im dritten Buch Mose. Oder, um zu dem Beispielfall zurückzukehren, den ich in dieser Videoserie immer wieder bemüht habe: Wer die Aussagen von Jesus über die Hölle heute noch ernstnehmen, der müsste konsequenter Weise auch ungehorsame Kinder steinigen oder dürfte kein blutiges Steak mehr essen.

Auch hier begegnet uns also das gleiche absurde Alles-oder-Nichts-Prinzip wie bei denen, die überhaupt keine Kritik an der Bibel zulassen möchten. Aber beides ist natürlich Unsinn. Und Unseriös. Oder, wie es in dem eingangs erwähnten Artikel heißt: absurd.

Kritisch hinschauen, seriös begründen

Die Wirklichkeit ist auch hier wieder komplexer: Nein, wer eine Aussage der Bibel ernst nimmt und für seinen eigenen Glauben annimmt, der muss nicht automatisch alle anderen annehmen und übernehmen. Ein kritischer Blick ist gefragt, der das eine vom anderen immer wieder im Einzelfall unterscheidet. Es gibt Aussagen der Bibel, die waren nie für uns gedacht und sind für uns heute nicht verbindlich. Und es gibt Aussagen der Bibel, die sind für alle Menschen gedacht, oder für alle, die Jesus nachfolgen. Und die sind auch für uns heute verbindlich.

Weder ein „ganz oder gar nicht“ noch ein „alles oder nichts“ helfen hier weiter. Sondern ein seriöser kritischer Blick auf das Detail und auf die Fakten. Und eine ehrliche Auskunft darüber, warum ich die eine Aussage der Bibel annehme, und warum ich die andere ablehne. Beides ist erlaubt. Aber beides sollte seriös und ohne Schwurbelei begründet werden.

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