Bibelschwurbel und Bibelkritik. Teil 2: Alternative Informationsquellen

Veröffentlicht in: Bibelschwurbel und Bibelkritik | 0

 

Verschwörungstheorien und Schwurbeleien in sozialen Netzwerken sind meist schon daran zu erkennen, dass sie sich auf überraschende Außenseiterstimmen berufen. Die Logik dahinter ist klar: Die „Mainstream-Medien“ sind unzuverlässig, fremdgesteuert oder selbst Teil der Verschwörung. Und die Fachwelt ist zu träge oder zu eingebildet, sich auf wirklich Innovatives einzulassen.

Corona-Schwurbeleien verbreiten sich daher vor allem durch bestimmte „alternative“ Internetplattformen oder durch prominente Persönlichkeiten der Popkultur (Köche, Sänger, Schauspieler…), oder es werden Geheimtipps per Whatsapp und Mail versandt: „Schau dir das mal an, habe ich von einer zuverlässigen Quelle erhalten…“.

Bibel-Schwurbeleien verbreiten sich meistens auf dem gleichen Weg: Über populäre Youtube-Clips, prominente Prediger, Podcasts oder Blogs, oder über kleine Büchlein, die in den meisten Fällen aus den USA stammen. Die deutsche theologische Fachwelt nimmt davon ebenso wenig Notiz wie die großen Mainstream-Kirchen und ihre Medien. Aber gerade dieser Geheimtipp-Charakter macht Schwurbeleien ja so interessant: Ich weiß etwas, was niemand anders weiß. Und das macht mich besonders. Ich werde Teil einer kleinen, verschworenen Gemeinschaft von Aufklärern und Aufgeklärten, die ihrer Zeit voraus ist und sich positiv abhebt von der dumpfen Masse des Mainstreams.

Bei Bibel-Schwurbeleien ist es meistens sogar ein zweifacher Mainstream, von dem man sich abgrenzt: Auf der einen Seite ist da der Mainstream der traditionellen Kirchen mit ihren Bekenntnissen und ihrer Bibeltreue.

Auf der anderen Seite aber ist da auch der kritische Mainstream derer, die sich von der Bibel ganz verabschieden. Oder zumindest von einzelnen Aussagen der Bibel ganz verabschieden.

Dazwischen liegt der schmale Pfad einer „alternativen Bibelauslegung“, die sowohl den traditionellen Kirchen als auch der kritischen Bibelwissenschaft bisher verborgen blieb. Er findet sich eben nur in wenigen Youtube-Videos, Podcasts und Blogbeiträgen, die der Eingeweihte kennen muss und die man sich unter der Ladentheke als Geheimtipp weiterreicht.

Bleiben wir bei unserer Beispielfrage aus der ersten Episode:

Hat Jesus den Menschen mit der Hölle gedroht?

Der traditionelle kirchliche Mainstream sagt: Ja, natürlich. Und deshalb muss auch die Kirche heute Wege finden, verantwortlich von der Hölle zu reden.

Die kritische Bibelwissenschaft sagt ebenfalls: Ja, natürlich. Aber sie fügt hinzu: Jesus hat sich geirrt. Heute können und brauchen wir das nicht mehr glauben.

Wohlgemerkt: diese zweite Antwort ist keine „andere Auslegung“ der Bibel, sondern eine kritische Abwendung von der Bibel. Zumindest in dieser einen Frage.

Das kann man tun, es ist eine persönliche Glaubensentscheidung und steht jedem Menschen frei.

Übrigens gehen längt nicht alle kritischen Bibelwissenschaftler diesen Schritt.

Es gibt aber Menschen, die wollen beides nicht: Sie wollen das mit der Hölle nicht glauben, und gleichzeitig aber auch nicht annehmen, dass Jesus oder die Bibel sich irren.

Und da beginnt dann meistens die Bibelschwurbelei.

In unserem Beispiel ist es der Versuch, die Worte Jesu über die Hölle irgendwie anders zu erklären, ohne sie aus der Bibel streichen zu müssen.

Der prominenteste Vertreter einer solchen „alternativen Auslegung“ war in den letzten Jahren der amerikanische Prediger Rob Bell.

In seinem Buch „Das letzte Wort hat die Liebe“ (Brunnen Verlag 2011) schreibt er:

„Der entsprechende Ausdruck für Hölle ist so etwa ein Dutzend Mal im Neuen Testament gebraucht, fast ausschließlich von Jesus selbst. Das Wort, das im Deutschen mit Hölle übersetzt wird, ist das Wort Gehenna. „Ge“ bedeutet Tal und „Henna“ steht für Hinnom. Gehenna, also das Hinnomtal, war eine kleine Schlucht an der Südseite Jerusalems. Dort in der Gehenna befand sich, als Jesus lebte, die städtische Müllkippe Jerusalems. Die Menschen warfen ihren Müll und Abfall in dieses Tal. Dort schwelte ständig Feuer, das den Unrat verbrannte. Wilde Tiere kämpften an den Rändern der Müllhalde um Nahrungsreste. Bei diesen Kämpfen bleckten sie die Zähle und machten knirschende Geräusche. Gehenna, der Ort des Zähneknirschens, an dem das Feuer nicht verlöscht. Ein realer Ort, mit dem die Zuhörer Jesu vertraut waren. (…) Gehenna, die städtische Müllhalde. Also dann. Das war’s.“ (S. 78-79)

 

Viele Christen haben diese Erklärung mit Begeisterung und Aufatmen gelesen und viral weiterverbreitet: Alles, was wir immer über die Hölle gelernt haben, war ein großes Mißverständnis.

In Wirklichkeit redet Jesus nur über die städtische Müllhalde von Jerusalem, nicht über das Leben nach dem Tod.

Es wäre so schön, wenn es nicht so falsch wäre. Und so verschwurbelt.

In der nächsten Folge dieser Reihe geht es darum, diese an sich schöne Theorie einmal dem Faktencheck der kritischen Bibelwissenschaft zu unterziehen.

In dieser Folge soll es aber erst einmal darum gehen, auf die Wichtigkeit der Quellen hinzuweisen, aus denen du deine Informationen ziehst.

Wie wahrscheinlich ist es, dass diese einfache Erklärung für den biblischen Glauben an die Hölle zweitausend Jahre lang von der Kirche übersehen oder falsch verstanden wurde?

Und dass selbst 200 Jahre kritische Bibelwissenschaft diesem Irrtum nicht auf die Spur gekommen sind?

Und dass selbst heute, zehn Jahre nach Erscheinen dieser sensationellen Enthüllungsgeschichte, nichts davon in den Fachbüchern und Lexika der kritischen Wissenschaft gelandet ist?

Kann das wirklich alles Teil eines großen Irrtums oder einer großen Verschwörung sein? Oder könnte es sein, dass die Theorie dieses amerikanischen Predigers einfach zu verschwurbelt ist, um von irgendjemandem, dem es um seriöse Bibelwissenschaft geht, überhaupt beachtet zu werden?

Könnte es sein, dass die meisten kritischen Bibelwissenschaftler sich solche ungelenken Versuche „alternativer Bibelauslegung“ ansehen und sagen „Ich habe besseres zu tun“?

Was ist wahrscheinlicher? Dass diese eine Quelle unseriös ist oder dass alle anderen Quellen blind, unwissend, vernagelt oder gleichgeschaltet sind?

Mein Tipp für heute:

Wenn du eine überraschende „alternative Bibelauslegung“ im Netz findest, und wenn diese sich vor allem über Videoclips, Podcasts oder prominente Prediger verbreitet, aber nicht in den üblichen Lexika und Fachbüchern zu finden ist, dann mag sie noch so inspirierend, befreiend, überraschend oder tröstend sein.

Die Chance ist leider hoch, dass es sich nicht um seriöse kritische Bibelauslegung, sondern um Bibelgeschwurbel handelt.

Vielleicht gut gemeintes, aber leider schlecht gemachtes Bibelgeschwurbel.

Schreibe eine Antwort