Bibelschwurbel und Bibelkritik. Teil 5: Die Wut verstehen

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Bibelschwurbel und Bibelkritik. Teil 5: Die Wut verstehen

Corona-Verschwörungen, Populismus und unser Umgang mit der Bibel (Teil 5)

Warum folgen Menschen so gerne geschwurbelten Bibelauslegungen, auch dann, wenn die Fakten dagegen sprechen und alle kritischen Bibelwissenschaftler, unabhängig von ihrem Weltbild und Glaubenshintergrund, solche Theorien für Unsinn erklären?

Wie bei vielen Verschwörungstheorien sind hier die Emotionen oft stärker als die Fakten. Es sind die tiefer liegenden Ängste und die tief sitzende Wut, die Menschen in verschwurbelte Theorien treiben. In der letzten Folge habe ich über die Ängste geredet. In dieser Folge möchte ich über die Wut reden.

In den sozialen Netzwerken redet man von Wutbürgern. In den christlichen Gemeinden gibt es aber zunehmend auch Wutchristen. Wutchristen reagieren auf die Krisen des Lebens und die Krisen ihres eigenen Glaubens mit Wut. Wut auf „die da oben“, die an dieser Krise schuld sind.

„Die da oben“, das sind die Eltern, die früheren Gemeindeleiter, die früheren Vorbilder. Oft auch die dunklen Hintermänner der evangelikalen Welt, die evangelikale Lügenpresse. Hinter all dem wittert man ein verschworenes System, das sich nur ein Ziel gesetzt hat: Die Menschen dumm und unmündig zu halten, ihnen die Wahrheit vorzuenthalten. Sie in der Unfreiheit festzuhalten und die freie Meinungsäußerung zu verbieten. Das ist die fromme Version der aktuell so verbreiteten Maulkorb-Theorie.

Bibelschwurbler bauen in ihre Predigten, Bücher und Blogs gerne solche Phrasen ein wie: „Man hat uns immer erzählt“, „Das wollte man dir weismachen“. „Das hast du in deiner Gemeinde so gelernt, aber…“ Gerne wird dabei auch ein wenig übertrieben oder humorvoll überzeichnet, so dass das dunkle Bild der Verschwörer noch ein wenig nachgeschwärzt wird.

Man sucht sich zum Beispiel zur Abschreckung bewusst die absurdesten Beispiele aus, die man in der frommen Szene finden kann, nicht den gemeindlichen Normalfall. So wird dem Zuhörer klar: Wir wurden bewusst in der Unmündigkeit gefangen gehalten.

In unserer Serie haben wir ja als Beispiel die schlichte Frage, ob Jesus den Menschen mit der Hölle gedroht hat. Und um die Theorie von Rob Bell, dass das alles ein großes Missverständnis ist, weil Jesus gar nicht von der Hölle geredet hat, sondern von einer Müllhalde außerhalb von Jerusalem.

Diese Theorie nimmt an sich in diesem Buch nur wenige Seiten ein, auch wenn es die Kernthese ist. Vorbereitet wird diese These aber dadurch, dass der Autor die Ängste und die Wut der Leserinnen und Leser anspricht.

Er schreibt gleich auf der ersten Seite seines Buches, dass die Geschichte der Liebe, die Jesus eigentlich erzählen wollte, gekidnappt wurde. Gekidnapped von denen, die dir die Geschichte mit der Hölle erzählt haben. Obwohl sie gar nicht von Jesus stammt.

Aber wer sind „die da“? das wird, wie meistens, nicht gesagt. „Es wurde uns vermittelt“ – heißt es geheimnisvoll auf der zweiten Seite. Und damit sind wir sind der klassischen Welt der Verschwörungstheorie.

Da sind Kidnapper am Werk, aber wir dürfen nicht sagen, wer es ist. Ja, mehr noch: Wir dürfen nicht einmal danach fragen. Auf der dritten Seite schreibt Rob Bell:

„Manche Gemeinden dulden keine offene, ehrliche Nachfrage zu den Dingen, die am wichtigsten sind. Erschreckend viele Leute haben Bedenken, Zweifel oder Fragen geäußert, nur um dann von ihrer Familie, Gemeinde oder ihren Freunden zu hören: „Darüber diskutieren wir hier nicht.“

Diese Idee vom Maulkorb ist klassisch für Bibelschwurbeleien. Meine Theorie ist nicht etwa deshalb bisher von niemandem vertreten worden, weil sie so absurd ist. Sondern weil dunkle Mächte verhindert haben, dass man überhaupt Fragen stellt.

Solche Theorien sprechen natürlich die an, die ohnehin viel Wut im Bauch haben. Wut auf die Eltern, die mich zu streng erzogen haben. Wut auf meine Gemeinde, in der ich nicht alles bekommen habe, was ich wollte. Wut auf andere Christen, die mich schlecht behandelt haben.

Jetzt weiß ich, wohin mit der Wut: Sie alle sind Teil einer dunklen Verschwörung, die mich klein halten will. Aber zum Glück habe ich jetzt diesen einen gefunden, der mir die Augen öffnet für die wirkliche Wahrheit. Und, was noch viel besser ist: Es ist nicht nur der eine. Wir sind viele. Da gibt es noch eine ganze Reihe von Gleichgesinnten, die dem gleichen Geschwurbel folgen wie ich. Das macht Mut. Und es macht stark.

Man findet darin Kraft, sich zu lösen aus der Verklammerung der eigenen Vergangenheit. Da ist es dann auch egal, ob die Fakten stimmen oder nicht. Hauptsache, es hilft dabei, mich freizuschwimmen von denen da oben.

Aber jetzt kommen wir vielleicht nochmal zurück zu dem Unterschied zwischen Bibelkritik und Bibelgeschwurbel. Beides sind Möglichkeiten, herauszutreten aus der Umklammerung falscher Glaubenshaltungen. Denn ohne Zweifel gibt es überall zu strenge Eltern, zu enge Gemeinden, zu mächtige Leitungspersonen. Das ist in der Politik so und auch in der Kirche.

Ein mündiger, erwachsener Umgang mit solchen Erfahrungen ist aber, dem offen ins Auge zu blicken und sich ehrlich loszusagen von dem, was man als falsch erkannt hat. In unserem Beispielfall heißt das:

Ja, es kann sein, dass dir deine zu strengen Eltern falsches über die Hölle erzählt haben. Ja, es kann sein, dass dir deine Gemeinde verboten hat, Fragen zu stellen. Ja, es kann sein, dass du übergriffige Leiter erlebt hast, die die Hölle dazu benutzt haben, andere klein zu halten.

Von dem allen kann man sich und muss sich auch lösen und es als falsch beim Namen nennen. Das Problem ist nur: Das alles ändert erst einmal nichts an den Bibeltexten, in denen Jesus von der Hölle spricht. Die hast du damit weder wegerklärt noch aus der Bibel entfernt.

Es bleibt also, wenn du den Weg des kritischen Bibellesen wählst, immer noch eine Entscheidung, wie du mit der Bibel umgehen willst: Das ist ja eines der Kennzeichen von Geschwurbel, dass es immer wieder von der eigentlichen Frage ablenkt auf wichtige Nebenschauplätze. Am Ende landet man aber, bei aller berechtigten Wut, wieder bei seiner Ausgangsfrage, die nämlich dadurch gar nicht gelöst wurde:

Was mache ich jetzt mit den unbequemen Bibeltexten, in denen Jesus mit der Hölle droht?Du kannst dich entscheiden, dich aufgrund deiner schlechten Erfahrungen nicht nur von deiner Gemeinde oder Familie zu lösen, sondern auch von diesen Bibeltexten, und sagen: Ich möchte das nicht mehr glauben, auch wenn Jesus es sagt.

Oder aber du entscheidest dich, diese Worte Jesu trotzdem in deinen Glauben zu integrieren. Und dich zu fragen: Wie kann die Kirche heute so von der Hölle so reden, dass es nicht missbräuchlich und schädlich ist? Sondern so, wie Jesus es ursprünglich gemeint haben könnte?

Beides, eine bewusste Ablehnung oder eine bewusste Annahme der Aussagen Jesu, kann Ergebnis von kritischem Bibellesen sein. Aber der Versuch, die Aussagen durch eine verschwurbelte „alternative Auslegung“ umzudeuten und wegzuerklären, ist keine mündige und erwachsene Lösung.

So verständlich deine Wut auch ist, wenn du mit Eltern oder Leitern schlechte Erfahrungen gemacht hast: Sie ist nicht in der Lage, die historischen Fakten oder die Worte der Bibel zu verändern.

Die Wut auf die da oben und auf die dunklen Hintermänner einer evangelikalen Verschwörung zu projizieren, kann vorübergehend entlasten und von dir selbst ablenken. Am Ende aber landest du wieder bei dir selbst und musst dich irgendwann der Frage stellen:

Will ich das noch glauben, was Jesus da sagt? Oder will ich mich mutig davon verabschieden? Der Blick auf die vermeintlichen Verschwörer wird dir diese Entscheidung nicht abnehmen.

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