Bibelschwurbel und Bibelkritik. Teil 6: Expertenglaube und Expertenfeindlichkeit

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Bibelschwurbel und Bibelkritik. Teil 6: Expertenglaube und Expertenfeindlichkeit

Corona-Verschwörungen, Populismus und unser Umgang mit der Bibel (Teil 6)

In den letzten zwei Folgen habe ich danach gefragt, welche tieferen Motive Menschen dazu bringen, nach unseriösen und verschwurbelten Bibelauslegungen zu suchen anstatt sich kritisch und nüchtern mit dem auseinanderzusetzen, was die Bibelwissenschaft wirklich sagt.

In dieser Folge kehre ich jetzt wieder zurück auf die Sachebene: Warum sind geschwurbelte Bibelauslegungen bei so vielen Menschen populär, auch dann, wenn sie den Faktencheck in einem einfachen Lexikon nachweislich nicht bestehen?

Ich möchte in dieser Folge über die Rolle sprechen, die Experten dabei spielen. Oder eben die Ablehung von Experten. Auch hier sehe ich nämlich wieder viele Parallelen zwischen geschwurbelten Bibelauslegungen und geschwurbelten Verschwörungstheorien.

Die wichtigste Parallele ist die: Wo geschwurbelt wird, da gibt es oft eine ganz spezielle Kombination von Expertenglauben einerseits und Expertenfeindlichkeit andererseits.

Wie funktioniert das?

Ein Satz, den man in den letzten Wochen und Monaten öfters gehört hat, war:

Plötzlich sind wir alle Experten.

Vielleicht habt ihr auch diesen Cartoon gesehen, auf dem sich zwei Ärzte unterhalten und der eine zum anderen sagt: Mann, wofür haben wir bloss all die Jahre studiert? Da hätten wir uns doch stattdessen auch einfach ein paar Wochen lang im Internet schlau machen können.

Die meisten Verschwörungstheorien verbreiten sich mithilfe von Expertenmeinungen. Das sind meistens nicht die Top-Experten ihres Faches, sondern eher Außenseiter. Manchmal sind sie auch gar keine Experten, werden aber trotzdem so behandelt, zum Beispiel wenn ein veganer Koch über Virologie spricht. Manchmal sind es aber wenigstens Halbexperten, zum Beispiel Ärzte, die auch Medizin studiert haben, auch wenn sie nicht in der virologischen Forschung sind.

Vielen Anhängern von Verschwörungstheorien genügt es, wenn jemand ein bisschen Expertenwissen hat. Gerade genug, damit man sich damit von der dumpfen Masse derer, die überhaupt keine Ahnung haben, abhebt.

Das ist also das eine: Expertenglaube. Gleichzeitig gibt es aber, und das ist das interessante, bei denselben Leuten auch eine große Expertenfeindschaft. Und die richtet sich dann oft ganz pauschal gegen die gesamte wissenschaftliche Fachwelt.

Vielleicht kennt ihr diesen Begriff: „Schulmedizin“. Es gibt Kreise, da ist „Schulmedizin“ ein Schimpfwort. Die Schulmedizin gilt ganz grundsätzlich als korrupt, unter der Fuchtel der Pharmakonzerne und Politiker, nur an Profit und Geld interessiert.

Es gibt also eigenartiger Weise beides: Eine große Expertengläubigkeit – was die kleine Zahl der wirklich eingeweihten Experten angeht. Und gleichzeitig eine große Expertenfeindschaft gegenüber der Wissenschaft und der herrschenden Mehrheitsmeinung. Beides kann man auch bei geschwurbelten Bibelauslegungen entdecken:

Nehmen wir mal wieder das Fallbeispiel, an dem wir in dieser Reihe dran sind: Die Theorie, dass Jesus, wenn er von der Hölle geredet hat, in Wirklichkeit nur von einer Müllhalde außerhalb Jerusalems sprach und deshalb der ganze christliche Glaube an die Hölle ein großer Irrtum ist.

Rob Bell hat diese Idee ja nicht ganz aus der Luft gegriffen. Sondern er führt eine kleine Dosis Expertenwissen an: Zum einen den hebräischen Namen für Hölle, Gehenna. Das macht ihn gegenüber vielen Leuten, die kein Hebräisch können, schonmal zum Experten. Zum zweiten aber führt er auch noch Kenntnisse aus der Geographie Jerusalems an, nämlich dass es dort mal ein Tal gab, dass Gehinnom hieß.

Das ist Expertenwissen, was vermutlich die wenigsten seiner Leser vorher hatten. Obwohl man es in jedem Bibellexikon nachlesen könnte. Es steckt also gerade genug Expertenwissen in der These, dass man sich damit als Leser gegenüber anderen in der dumpfen Masse der Unkundigen abheben kann.

Für viele Leser von Rob Bells Buch, denen ich in den letzten Jahren begegnet bin, ist der Schluss also ganz einfach: Wenn man die Aussagen Jesu über die Hölle in ihrem geschichtlichen und kulturellen Kontext betrachtet, dann stellt sich heraus, dass sie eine ganz andere Bedeutung haben, als wir bisher immer dachten. Und vor allem: Das kann ich mit einer ganz kleinen Dosis an Expertenwissen beurteilen. Viel mehr als dieses bisschen brauche ich gar nicht. Das wenige, was ich weiß, reicht mir grade aus, um 2000 Jahre christlicher Lehre von der Hölle über den Haufen zu werfen.

So weit so gut also.

Hier kommt übrigens ein psychologischer Effekt zum Tragen, von dem man auch in der Corona Zeit sehr oft gelesen hat: Je weniger Fachwissen Menschen haben, desto größer ist die Gefahr, dass sie sich selbst überschätzen und deshalb für kompetente Experten halten. Warum? Weil sie eben nicht genug wissen, um zu wissen, wie viel sie eigentlich nicht wissen.

Das Problem ergibt sich aber nun, wenn ein anderer Experte, sozusagen ein bibelwissenschaftlicher „Schulmediziner“, mit dem Faktencheck daherkommt. Den haben wir ja in Folge 3 kurz angeschaut. Ihr müsst dazu auch gar nicht meiner Expertise folgen. Mein Vorschlag für bibelwissenschaftliche „Schulmedizin“ ist die Plattform Wibilex.de

Ein kritischer Bibelwissenschaftler würde einem Bibelschwurbler also sagen: Du hast da ein kleines bisschen Expertenwissen, was an sich gar nicht falsch ist. Aber wenn du dich noch ein bisschen gründlicher informieren würdest, dann würdest du merken: Du hast das bisschen Expertenwissen gründlich missverstanden und auch leider ganz falsch angewendet.

In unserem Beispiel: Du hast zwar die ersten zwei Sätze des Lexikonartikels richtig gelesen, aber die nächsten fünf wären auch wichtig gewesen. Die hätten dir nämlich gezeigt, dass deine Deutung Geschwurbel ist. Ein bisschen Expertenwissen, ohne die dazugehörigen Grundkenntnisse, kann eben auch gefährlich sein.

Und zwar dann, wenn man versucht, mit diesem bisschen Expertenwissen nicht nur die traditionelle Bibelauslegung der Kirche, sondern auch die gesamte kritische Bibelwissenschaft aus den Angeln zu heben. Dafür ist ein bisschen Expertenwissen eben nicht genug.

Ein echter Bibelschwurbler allerdings hat auch hier schon eine Antwort parat. Eine Antwort, die vor allem im Umgang mit der Bibel sehr beliebt ist und mir immer wieder begegnet. Diese Antwort lautet:

Ich brauche kein Fachwissen und auch keine theologische Ausbildung, um die Bibel richtig zu verstehen. Jesus war schließlich auch nur Zimmermann und seine Nachfolger einfache Fischer.

Die Theologen und Schriftgelehrten sind schon in der Bibel immer die Bösen und die Feinde von Jesus. Deswegen ist Theologie potentiell gefährlich und ungeistlich. Denn wenn die Bibel wirklich Gottes Wort an uns ist, dann muss doch jedes Kind sie schließlich auch ohne theologisches Fachwissen verstehen können.

Und da sind wir dann wieder bei dieser eigenartigen Mischung aus Expertenglauben und Expertenfeindlichkeit:

Einerseits benutze eine kleine Dosis Expertenwissen dafür, um eine abenteuerliche Bibelauslegung zu begründen. Gerade genug Expertenwissen, um mich von der ungebildeten Masse abzuheben.

Wenn dann aber jemand kommt und mich darauf hinweist, dass es da möglicherweise noch mehr Expertenwissen gäbe, dass ich vielleicht mal in ein Lexikon schauen oder wirklich ein Fachbuch lesen sollte, dann sage ich: Echter Glaube braucht keine Theologie.

Die Ablehnung von Theologie ist die christliche Variante der Ablehnung von Schulmedizin. In der nächsten Folge möchte ich deshalb die Frage stellen. Wieviel Fachwissen braucht der Glaube eigentlich? Muss man wirklich Theologie studiert haben, um die Bibel lesen zu können?

Für heute ende ich mit einem Zitat des Physikers Carl-Friedrich von Weizsäcker:

„Nach einem alten Satz trennt uns der erste Schluck aus dem Becher der Erkenntnis von Gott, aber auf dem Grunde des Bechers wartet Gott auf den, der ihn sucht.“

(C.F. von Weizsäcker, „Die Geschichte der Natur. Zwölf Vorlesungen“, Hirzel Verlag, Zürich: 1948, S. 124)

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