Bibelschwurbel und Bibelkritik. Folge 18: Wie erkenne ich seriöse Bibelauslegung? Vier Vorschläge.

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Bibelschwurbel und Bibelkritik. Folge 18: Wie erkenne ich seriöse Bibelauslegung? Vier Vorschläge.

Die zurückliegende Woche hat es wieder einmal sehr deutlich gezeigt: Es gibt Fragen, in denen unsere Gesellschaft zerstritten ist. Es gibt unterschiedliche politische Überzeugungen und unterschiedliche Auslegungen unserer Gesetzestexte. Und es gibt politische Entscheidungen, die umstritten sind.

In der letzten Woche war das die Abstimmung über das veränderte Infektionsschutzgesetz im Deutschen Bundestag. Unterschiedliche Meinungen, unterschiedliche Überzeugungen. So weit, so gut und so normal in einer pluralen Gesellschaft. Das gilt für Fragen der Politik ebenso wie für Fragen der Bibelauslegung.

Normal ist es auch, dass man das kritisieren darf, was einem nicht gefällt. In der Politik wie in der Bibelauslegung.

Die Ereignisse dieser Woche haben aber auch gezeigt, dass es einen Unterschied gibt zwischen seriöser Kritik und unseriösem Geschwurbel. Viele Kritiker haben auf Schwächen und Unzulänglichkeiten dieses Gesetzentwurfs hingewiesen, auch in den Reden im Bundestag. Juristen haben in Gutachten auf Löcher und Unklarheiten hingewiesen. Menschen haben auf der Straße protestiert. Soweit so gut. Das alles gehört zu einem sachlichen und demokratischen Prozess der Entscheidungsfindung.

Die Grenze zum Geschwurbel ist allerdings da überschritten, wo zum Beispiel mit falschen Informationen gearbeitet wird, etwa mit der Behauptung, der Gesetzentwurf enthalte eine Impfpflicht oder setze das Grundgesetz außer Kraft. Die Grenze ist da überschritten, wo mit emotionalen Mitteln manipuliert wird, statt sachlich zu argumentieren. Etwa da, wo ein Kind, das seinen Geburtstag nicht feiern kann, mit Anne Frank verglichen wird, die im Konzentrationslager ermordet wurde. Und das nur, weil es die gewünschte emotionale Wirkung entfaltet, auch wenn der Vergleich absurd und unerträglich ist. Und die Grenze ist überschritten, wo Politiker für ihre politische Überzeugung persönlich beleidigt, bedroht oder als Arschlosch beschimpft werden. Leider sind alle diese Methoden der Auseinandersetzung auch in der Welt der Bibelauslegung verbreitet.

Jeder Mensch hat das Recht, zu kritisieren, was ihm nicht passt. Das gilt in der Welt der Politik ebenso wie in der Welt der Bibelauslegung. Aber es gibt Grundregeln für eine seriöse Kritik, und es gibt Grenzen, an denen aus berechtigter Kritik unseriöses Geschwurbel wird.

In meiner Videoreihe habe ich versucht, solche Grenzen zu benennen und zu erklären. Ich habe mir dafür ein bewusst etwas abseitiges Fallbeispiel aus der Welt der Bibelauslegung ausgesucht. Aber eins, das unter Christen vermutlich ebenso umstritten ist wie das Infektionsschutzgesetz in unserer Gesellschaft. Nämlich die Frage, was Jesus eigentlich über die Hölle sagt und ob das, was er sagt, für uns heute als Christen noch glaubwürdig ist.

In dieser Folge möchte ich noch einmal das wichtigste in vier Lernfeldern zusammenfassen. Wie können wir lernen kritische Bibelauslegung von unseriösem Bibelschwurbeln unterscheiden?

 

  1. Lerne zu unterscheiden zwischen der Auslegung von Bibeltexten und der Ablenkung von Bibeltexten.

In vielen Auseinandersetzungen um die Bibel spielen die Bibeltexte selbst eigentlich gar keine Rolle. Stattdessen geht es darum, vom Bibeltext abzulenken und über persönliche Erfahrungen, Enttäuschungen, Ängste, Vorwürfe oder anderes zu sprechen. In den Folgen 4, 5, 7 und 13 habe ich ein paar Beispiele genannt, wie das aussehen kann. Da geht es um die persönlichen Ängste, die uns daran hindern, wirklich kritisch Bibel zu lesen. oder die Wut auf die, die die Bibel anders lesen als wir. Es geht um eine grundsätzliche Skepsis gegenüber der Wissenschaft und den berühmten Zeigefinger, der auf die Fehler der anderen zeigt.

Das kann natürlich alles wichtig sein und man sollte es nicht leichtfertig wegwischen. Nur sollte man so ehrlich sein, sich einzugestehen, dass man damit nicht Bibeltexte auslegt, sondern von Bibeltexten ablenkt. Wenn es dir wirklich um kritische Bibelauslegung geht, dann solltest du irgendwann die Bibel aufschlagen und dich den Bibeltexten zuwenden, um die es geht, und nicht nur den Menschen, die darüber streiten.

 

  1. Lerne zu unterscheiden zwischen der Auslegung von Bibeltexten und der Ablehnung von Bibeltexten

Mark Twain soll einmal gesagt haben: „ich habe keine Probleme mit den Bibelstellen, die ich nicht verstehe. Echte Probleme habe ich mit den Bibelstellen, die ich gut verstehe.“

Oft geht es bei umstritten Bibeltexten nicht um die Frage, wie sie zu verstehen sind, sondern um die Frage, was sie für uns bedeuten. Unklar ist dann nicht, was Jesus oder Paulus gesagt haben oder was sie damit meinen. Sondern unklar ist, ob uns das gefällt und ob wir es auch heute noch glauben und leben wollen. In der Frage nach der Hölle zum Beispiel, um die es in dieser Serie ging, ist unter seriösen Bibelwissenschaftlern ja gar nicht umstritten, dass Jesus mit der Hölle gedroht hat. Umstritten ist, ob wir heute auch noch an die Hölle glauben oder mit der Hölle drohen sollten.

Ich den Folgen 10, 11, 12 und 15 habe ich über verschiedene Begründungen gesprochen, mit denen man die Bedeutung von Bibeltexten für heute in Frage stellen kann. Da geht es um die Frage, ob ein Bibeltext zu meiner Vorstellung von Liebe passt, oder zu meinem Bild von Jesus. Ob ich Aussagen der Bibel schon deshalb ablehne, weil sie aus dem Alten Testament stammen oder aus der jüdischen Kultur der Zeit Jesu. Oder einfach deshalb, weil ich glaube, wenn ich erst einmal eine Aussage der Bibel auf mein Leben heute übertrage, dann müsste ich das auch mit allen anderen tun.

Das alles kann man machen. Ich habe in den genannten Folgen darüber gesprochen, warum ich das nicht unbedingt für seriös halte. Aber selbst dann, wenn man es macht, dann sollte man sich eingestehen: Man legt damit nicht Bibeltexte aus, sondern man sucht nach Gründen, sie abzulehnen.

Wenn es dir wirklich um kritische Bibelauslegung geht, dann solltest du das eine vom anderen trennen: Zuerst einmal herausfinden, was ein Bibeltext überhaupt sagt. Egal, ob es dir gefällt oder nicht. Egal ob es in dein Leben passt oder nicht. Es gilt bei Bibeltexten das, was auch bei Menschen gilt: Nimm dir erst einmal Zeit, zuzuhören, bevor du urteilst. Mit anderen Worten: Versuche erst zu verstehen, was ein Bibeltext sagt. Und dann fälle dein Urteil darüber, ob du es glauben und annehmen willst, oder ob du es ablehnen möchtest.

 

  1. Lerne zu unterscheiden zwischen seriösen und unseriösen Quellen

Das ist etwas, was wir alle schon in der Schule lernen: Wikipedia, Youtube und Blogspot sind gute Quellen für Entertainment, aber nicht für seriöse Wissenschaft. Wenn dir eine interessante Bibelauslegung im Internet begegnet, dann nimm dir Zeit, die Quellen zu prüfen.

Im Internet findest du natürlich für jede Meinung einen Experten, der sie vertritt, und sei sie noch so absurd. Wenn du der Sache auf den Grund gehen willst, dann prüfe die Aussagen dieses sogenannten Experten anhand von anerkannten Bibellexika, Fachbüchern oder Fachzeitschriften. Natürlich kannst du allem misstrauen, was die Fachwelt, die Schulmedizin, oder die seriöse Bibelwissenschaft sagt, und stattdessen lieber auf die Stimme eines Außenseiters hören.

Aber wenn es dir um kritische Bibelauslegung geht, dann solltest du nicht nur auf einzelne Expertenstimmen hören, sondern ihre Aussagen mit den üblichen Mitteln überprüfen. Seriöse Ausleger geben ihre Quellen an und geben dir damit auch Gelegenheit, das, was sie sagen, zu überprüfen. Wo sie das nicht tun, darfst du berechtigte Zweifel daran haben, ob das, was sie behaupten, auch stimmt.

 

  1. Lerne zu unterscheiden zwischen Fakten und Fiktion

Du weißt, dass du nahe am Ziel bist, wenn du bei einer Auseinandersetzung um die Bibel wirklich beim Bibeltext selbst angekommen bist. An diesen Punkt kommt leider längst nicht immer.

Jetzt geht es noch darum, zu prüfen, ob eine Bibelauslegung nur persönliches Bauchgefühl ist, oder ob sie auch begründet wird. In der kritischen Bibelauslegung fragt man zum Beispiel nach der Bedeutung von einzelnen Worten. Die kann man mithilfe eines Lexikons überprüfen. Man fragt nach Grammatik und Satzstruktur. Auch dafür gibt es Fachbücher. Man fragt nach dem Kontext, in dem ein Bibeltext steht. Den kann man durch einfaches Bibelaufschlagen selbst überprüfen. Man fragt nach inhaltlichen Bezügen zu anderen Bibeltexten. Auch die kann man in seiner eigenen Bibel selbst nachschlagen. Man fragt nach erzählerischen Stilmitteln, nach dem Spannungsbogen, nach Bildwelten und ihrer Bedeutung. Das alles kennt man aus dem Deutschunterricht. Und man kann solche Textbeobachtungen als Leser in der Regel am Bibeltext selbst überprüfen.

Schwieriger wird es da, wo Bibelausleger auf die historischen und kulturellen Hintergründe verweisen. Da wird es schwieriger, den Faktencheck zu machen. Aber auch hier gibt es eine Faustregel: Behauptungen über die kulturelle Umwelt der Bibel sollten sich an historischen Quellen belegen lassen.

Wenn zum Beispiel Rob Bell, wie in Folge 2 und 3 dieser Serie, die Behauptung aufstellt, dass Gehenna zur Zeit Jesu ein Name für die Müllhalde von Jerusalem war, dann sollte es doch zumindest einen einzigen Text aus der Antike geben, in dem dieser Name tatsächlich für die Müllhalde von Jerusalem verwendet wird. Wenn jemand behauptet, dass Juden zur Zeit einen Bogen um das Land der Samariter machten, dann sollte er mindestens einen antiken Text nennen können, in dem das tatsächlich der Fall ist. Wenn jemand behauptet, Juden durften zur Zeit Jesu keine Aussätzigen anfassen, dann sollte er wenigstens einen antiken Gesetzestext anführen, in dem das verboten wird. Wenn jemand sagt, Zöllner waren verhasst, weil sie mit den Römern kollaborierten, dann sollte er eine antike Aussage nennen können, in dem einem Zöllner tatsächlich Kollaboration vorgeworfen wird. So funktioniert der Faktencheck in der Bibelauslegung. Behauptungen müssen mit Quellen belegt werden. Sonst bleiben sie Behauptungen. Oft sogar falsche Behauptungen, wie in allen gerade genannten Fällen.

Und selbst dann, wenn man diese eine Quelle findet, in der das steht, was man sucht: Dann muss man immer noch prüfen, diese eine Quelle für das gesamte Judentum oder die gesamte römische Welt repräsentativ ist, oder ob es vielleicht nur eine extremer Ausnahmefall ist. Mit anderen Worten: Es wird also komplex. Ich erinnere nur an Folge 10 dieser Serie.

Du kannst also entweder demjenigen Vertrauen, der da pauschale Aussagen über die Juden, die Römer oder die Griechen macht. Er ist ja ein Experte, er wirds schon wissen. Wenn du aber wirklich einen seriösen Faktencheck machen willst, dann musst du dir die Mühe machen, die Quellen zu prüfen für das, was da über die Welt des Judentums oder die Welt der alten Römer und Griechen gesagt wird. In vielen Fällen ist das möglich, denn die meisten antiken Quellen sind im Internet frei zugänglich. Aber es kostet etwas Mühe, so einen Faktencheck zu machen.

 

Kritische Bibelauslegung kostet Mühe. Aber die Mühe lohnt sich.

Wenn du jetzt sagst: Mensch, das wird ja richtig anstrengend, dann ist meine Antwort: Willkommen im Club. Kritische Bibelauslegung ist weder ein Ponyhof noch ein Sandkastenspiel.

Leider wird uns das in manchen Youtube-Predigten oder Podcasts so vermittelt. Als ob alles ganz klar und einfach wäre, wenn du nur genug auf dein Herz oder auf den Herrn Jesus hörst. Aber die Realität ist: So einfach ist es eben nicht.

Und deshalb gibt es auch die anderen, die sagen: Weil es so komplex und schwierig ist, verzichtet man lieber ganz auf eine kritische Diskussion. Soll doch einfach jeder glauben, was er möchte oder was ihm am besten gefällt. In den letzten beiden Folgen ging es darum.

Man kann das alles machen. Man kann sich auf die eine Auslegung einlassen, die man im Internet gefunden hat, ohne sie überprüfen oder den Faktencheck zu machen. Oder man kann einen Faktencheck grundsätzlich ablehnen, weil sowie so alles Ansichtssache ist und jeder irgendwie Recht hat.

Seriöse kritische Bibelauslegung aber geht anders: Sie stellt sich dem Bibeltext, auch dann, wenn er unbequem ist. Sie lenkt nicht ab vom Bibeltext, sondern legt ihn aus. Und erst wenn sie ihn ausgelegt hat, frag sie danach, ob sie ihn für heute annehmen oder ablehnen möchte.

Beides ist erlaubt. Beides kann gute Gründe haben. Kritische Bibelwissenschaft aber gibt sich selbst und anderen Auskunft über diese guten Gründe. Sie prüft die Fakten und Argumente. Sie hört auf die verschiedenen Stimmen. Sie nimmt die Ängste, die Wut und die Zweifel ernst, mit denen Menschen einem Bibeltext begegnen. Und dann trifft sie eine verantwortliche und mündige Entscheidung.

Das griechische Wort für so eine Entscheidung ist krisis. Und daher kommt unser Wort Kritik.

Ob es auch ein griechisches Wort für Schwurbeln gibt, das weiß ich leider nicht. Wie auch so vieles andere, was ich nicht weiß. Und so bleiben auch am Ende dieser Serie noch ein paar wichtige Fragen offen.

Und das ist ja eigentlich auch gut so.

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